Saudi-Arabien im September 2025: Kontrolle nach innen, Einfluss nach außen und eine Vision für 2030
Lizenzartikel von Jürgen Dirrigl – Titelbild und alle nicht gekennzeichneten Bilder im Artikel : AMEPRES
Die Sonne verbrennt das letzte unbewässerte Stück Grün. Der Asphalt auf Riads Straßen glüht. Auf einer Seitenstraße nahe der King Fahd Road schließt ein Makler die Tür zu einem Apartment. Noch vor wenigen Wochen hätte der Besitzer den Mietpreis ohne weiteres angehoben. Heute spricht er leise, fast respektvoll, von einer neuen Grenze. Fünf Jahre lang dürfen die Mieten nicht steigen. In einer Stadt, in der die Kräne wie Metronome der Vision 2030 schlagen, steht der Wohnungsmarkt für einen Moment still. Auf der Rückbank eines Taxis leuchtet die Navigationsapp. Der Fahrer erzählt von den Raten für die Schule seiner Tochter und davon, dass ihm „ein wenig Luft“ nütze. Gleichzeitig blickt er auf die Tankstellenpreise, auf den Ölmarkt, auf all das, was Saudi-Arabien formt und trägt.
Alltag unter Kontrolle – wie sich Saudi-Arabien von innen wandelt
In den vergangenen zwölf Monaten hat sich Saudi-Arabien spürbar neu ausgerichtet. Die Führung unter Kronprinz Mohammed bin Salman treibt Reformen im Alltag voran, von Vision 2030 über Sport und Unterhaltung bis hin zu Infrastrukturprojekten. Die Hauptstadt Riad erlebt einen spürbaren Wandel im Stadtbild, doch politische Freiräume bleiben eng gezogen. Organisierte Proteste werden verhindert, spontane Ansammlungen im Keim aufgelöst. Kritik verlagert sich in den digitalen Raum, wo das Strafrecht gegen Social Media-Posts konsequent angewendet wird.
Zugleich wächst die Zahl der Frauen im Erwerbsleben. Neue Stellen in Tourismus und Dienstleistung stehen für eine Öffnung, die vor wenigen Jahren kaum denkbar gewesen wäre. Doch Aktivismus bleibt riskant. Der Fall der Fitness-Influencerin Manahel al-Otaibi zeigt, dass öffentlicher Protest oder nonkonformes Auftreten schnell zu langen Strafen führen können. Damit entsteht ein doppeltes Bild: gesellschaftliche Modernisierung im Alltag und restriktive Linie vor Gericht.
Besonders deutlich zeigt sich das bei der Todesstrafe. 2025 melden internationale Menschenrechtsorganisationen eine hohe Zahl an Exekutionen, vor allem bei Drogendelikten und oft gegen Ausländer. Offizielle Stellen verweisen auf Recht und Sicherheit, doch international wächst die Kritik. Für die Menschenrechtslage insgesamt ergibt sich ein Spannungsfeld zwischen Öffnung nach außen und Repression nach innen.
Auch die Pressefreiheit ist klar begrenzt. Staatsnahe Medien setzen die Themen, während internationale Journalisten zwar Zugang haben, aber nur unter klaren Regeln berichten dürfen. Unabhängige NGOs sind nicht präsent. Stattdessen steuert der Staat den öffentlichen Raum über modernisierte Verwaltungsinstrumente. Der Hajj wird über digitale Nusuk-Genehmigungen strenger reguliert, Überfüllung und Hitzetote sollen durch Technik und Kontrolle vermieden werden.

Im Alltag der Menschen spielt das Wohnen eine zentrale Rolle. Seit September gilt in Riad ein fünfjähriger Mietstopp, der über das Ejar-System durchgesetzt wird. Verstöße sind mit Strafen belegt. Damit will die Regierung Inflation dämpfen und Familien entlasten. Zugleich warnen Experten vor einem möglichen Rückgang im Angebot und Ausweichbewegungen in Satellitenstädte.
Das Kalkül der Führung ist klar. Sie will sichtbare Teile des Reformprojekts – Jobs, Freizeit, Verkehr und Wohnen – planbarer machen. Zugleich lässt sie bei Dissens, der als sicherheitsrelevant eingestuft wird, keinen Spielraum. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die Balance zwischen Modernisierung und Kontrolle tragfähig bleibt oder ob die restriktive Rahmung weiter verstärkt wird.
Macht im Königreich – wer in Saudi-Arabien wirklich entscheidet
Wer verstehen will, wie Saudi-Arabien funktioniert, muss zuerst das politische Fundament kennen. Das Land ist eine absolute Monarchie. Das bedeutet: Es gibt kein Parlament mit echter Gesetzgebungsmacht, keine Parteien, die miteinander konkurrieren, und keine allgemeinen Wahlen, die über die Regierung entscheiden. Formell steht König Salman bin Abdulaziz an der Spitze des Staates, doch seit Jahren führt sein Sohn, Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS), die Regierungsgeschäfte als Premierminister. Er gilt als der unangefochtene Taktgeber im Alltag der Politik.
Der Thron wird nicht über Wahlen vergeben, sondern innerhalb der Königsfamilie weitergereicht. Die Söhne und Enkel der Dynastie der Al Saud bestimmen, wer nachrückt. Ein Gremium, die sogenannte Allegiance Council, stimmt darüber ab, doch entscheidend ist meist das Kräfteverhältnis innerhalb der Familie. Saudi-Arabien gehört damit zu den wenigen verbliebenen absoluten Monarchien der Welt – und sticht als größte und einflussreichste unter ihnen hervor. Das System gilt als stabil, weil die Macht klar geregelt ist, lässt jedoch keine echte Opposition zu, da es keine parteipolitische Alternative gibt.
Trotz dieser klaren Herrschaftsordnung zeigt sich das Land nach außen mit modernen Bildern. Konzerte, internationale Sportereignisse und die Bewerbung für die WM 2034 gehören zum neuen Gesicht. Doch die Öffnung in Gesellschaft und Wirtschaft geht Hand in Hand mit strikter Kontrolle. In der Öffentlichkeit werden Proteste kaum geduldet. Oppositionelle Stimmen finden keinen Raum, weder auf der Straße noch im institutionellen Rahmen. Wer Kritik äußert, riskiert Verfahren vor der Spezialstrafkammer (Specialized Criminal Court, SCC), die für Terror- und Sicherheitsdelikte zuständig ist. Hier werden auch Fälle von Aktivisten oder Nutzern sozialer Medien verhandelt, die sich kritisch äußern.
Ein Satz, der verdeutlicht, wie das Regime diese Balance zwischen Offenheit und Kontrolle kommuniziert, fiel im Februar 2025 in London. Der saudische Botschafter sagte über die Weltmeisterschaft: „Ihr könnt ohne Alkohol Spaß haben. Alle sind willkommen, im Rahmen unserer kulturellen Regeln.“ Dieser Satz ist kein Nebensatz, sondern Teil einer größeren Strategie. Saudi-Arabien will die Welt zu Gast haben, aber zu seinen Bedingungen. Offen im Ton, fest im Inhalt – so lässt sich das Prinzip zusammenfassen.
Wer in Saudi-Arabien politische Reformen fordert, trifft auf eine klare Grenze. Der Staat versteht sich als Bewahrer von Ordnung und religiöser Legitimation. Er öffnet den Raum dort, wo es um Konsum, Unterhaltung oder wirtschaftliche Diversifizierung geht, verschließt ihn aber, sobald es um Machtteilung oder alternative politische Strukturen geht. Damit ist die Machtbalance eindeutig: Eine Königsfamilie, die sich nach innen modernisiert und nach außen modern zeigt, aber nach wie vor allein bestimmt, wie weit diese Modernisierung gehen darf.
Der Glaube ist in diesem Machtgefüge nicht nur ein kultureller Hintergrund, sondern eine tragende Säule. Saudi-Arabien versteht sich als Hüter der beiden heiligsten Stätten des Islam in Mekka und Medina. Diese religiöse Verantwortung verleiht der Monarchie nicht nur spirituelle Legitimation, sondern auch politischen Einfluss in der gesamten islamischen Welt. Auch heute bleibt dieser Bezug unverändert stark.

Die enge Verbindung von Religion und Herrschaft prägt das Rechtssystem, das auf der Scharia basiert, und stärkt die Autorität der Herrscherfamilie nach innen wie nach außen. Wer welchen Platz in der Gesellschaft einnimmt, ist dabei eng an diese religiöse Ordnung geknüpft. Die klare Mehrheit der Bevölkerung ist sunnitisch und folgt einer Glaubenspraxis, die lange vom saudischen Staatsislam geprägt wurde, der international meist als Wahhabismus bezeichnet wird. Daneben gehören etwa 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung der schiitischen Glaubensrichtung an, vor allem in den ölreichen Ostprovinzen wie Qatif und al-Ahsa. Sie stehen damit im direkten Gegensatz zur sunnitischen Staatsdoktrin und sehen sich seit Jahrzehnten systematisch benachteiligt – ein Spannungsverhältnis, das auch über die Grenzen Saudi-Arabiens hinaus eine Rolle in den Konflikten der Region spielt. Neben diesen beiden Hauptgruppen gibt es kleinere beduinische Stammesverbände, die traditionell eng mit der Herrscherfamilie verbunden sind. Hinzu kommt eine große Zahl von Arbeitsmigranten aus Süd- und Südostasien sowie aus Ostafrika, die das Wirtschaftsleben prägen, aber ohne Staatsbürgerrechte bleiben und politisch keine Rolle spielen.
Die religiöse Ordnung bietet Legitimation und Zusammenhalt, sie grenzt aber auch jene aus, die nicht in das dominante sunnitische Selbstverständnis des Königreichs passen. Modernisierung und Tradition laufen parallel, doch die Machtbasis bleibt klar religiös verankert. Das zeigt sich darin, dass heute neue Freizeitangebote, Kinos oder internationale Sportereignisse erlaubt werden, während das Rechtssystem weiterhin strikt auf der Scharia beruht. Gesellschaftliche Öffnung findet also statt – aber nur in den Bereichen, die die religiöse Ordnung nicht infrage stellen.
Ölreichtum und Reformdruck – Saudi-Arabiens Wirtschaft 2025
Die Wirtschaft Saudi-Arabiens lebt von zwei Kräften, die gegensätzlicher kaum sein könnten: vom Öl, das seit Jahrzehnten den Staat finanziert, und von den Reformen, die das Land von dieser Abhängigkeit lösen sollen. Noch immer stammen rund 70 Prozent der Staatseinnahmen und fast 80 Prozent der Exporte aus Erdöl. Das macht das Land zum einflussreichsten Produzenten innerhalb der Allianz OPEC+, die gemeinsam mit Partnerstaaten wie Russland den Weltmarkt steuert. Die staatliche Ölgesellschaft Aramco ist mit einem Jahresgewinn von über 120 Milliarden US-Dollar (2024) das profitabelste Unternehmen der Welt und bildet die finanzielle Basis für fast jedes größere Vorhaben im Königreich.
Gleichzeitig ist die Führung überzeugt, dass diese Abhängigkeit nicht ewig tragen kann. Kronprinz Mohammed bin Salman hat mit der Vision 2030 ein Programm gestartet, das den Anteil des Nicht-Öl-Sektors am Bruttoinlandsprodukt (BIP) stark erhöhen soll. 2025 zeigen die Zahlen einen klaren Trend: Das reale BIP wächst um etwa 3,5 Prozent, angetrieben vor allem von Dienstleistungen, Tourismus und Bauprojekten, während das Ölgeschäft nach der teilweisen Rücknahme der OPEC+-Kürzungen wieder leichte Zuwächse verzeichnet. Diese Kürzungen waren zuvor eingeführt worden, um das weltweite Ölangebot künstlich zu verknappen und damit den Preis zu stabilisieren. Das Nicht-Öl-BIP wächst sogar schneller, mit rund 4,5 Prozent.
Auch die Preise bleiben stabil. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt die Inflation 2025 auf nur 2,1 Prozent. Das ist für die Region ein sehr niedriger Wert und gibt den Menschen in den Städten etwas Planungssicherheit. Durchschnittsgehälter sind schwer zu vergleichen, weil zwischen Staatsbediensteten und Arbeitsmigranten Welten liegen. Ein saudischer Angestellter in Riad verdient im Schnitt zwischen 2.000 und 3.500 US-Dollar im Monat, während ein Bauarbeiter aus Bangladesch oder den Philippinen oft nur wenige Hundert Dollar erhält.
Trotz hoher Ölgewinne schreibt der Staatshaushalt nicht automatisch schwarze Zahlen. Der Finanzminister rechnet für 2025 mit einem Defizit von rund 2 Prozent des BIP. Der Grund sind die gewaltigen Investitionen in Großprojekte: der Bau der Zukunftsstadt NEOM, Luxusresorts am Roten Meer oder neue Infrastrukturnetze, die Milliarden verschlingen. Diese Projekte sind Schaufenster und Risiko zugleich. Sie sollen langfristig Einnahmen aus Tourismus, Technologie und erneuerbarer Energie sichern, verschlingen aber kurzfristig Geld und stoßen auf Verzögerungen.

Ein zentrales Standbein der künftigen Wirtschaft sollen erneuerbare Energien werden. Saudi-Arabien investiert Milliarden in den Ausbau von Solar- und Windkraft, mit dem Ziel, bis 2030 eine Kapazität von rund 130 Gigawatt zu erreichen. Bereits 2025 laufen Verträge für Projekte von insgesamt 15 Gigawatt, die von Konsortien aus Staatsfirmen wie ACWA Power, Aramco-Tochtergesellschaften und internationalen Partnern umgesetzt werden. In den Wüstenregionen entstehen riesige Solarfelder, während an den Küsten Windparks geplant sind. Herzstück dieser Strategie ist das NEOM-Green-Hydrogen-Projekt, das nach seiner Fertigstellung eine der größten Produktionsanlagen für grünen Wasserstoff weltweit sein soll. Damit will das Land nicht nur seinen eigenen Energiebedarf künftig stärker aus erneuerbaren Quellen decken, sondern auch ein Exporteur von grünem Wasserstoff werden – mit Kunden in Europa und Asien. Diese Strategie soll langfristig helfen, Einnahmeausfälle aus dem Ölgeschäft zu kompensieren und Saudi-Arabien als Energienation auch in einer postfossilen Welt unentbehrlich zu halten.
Auch die soziale Seite der Wirtschaft ist spürbar. In Riad hat die Regierung im September 2025 einen Mietstopp für fünf Jahre verhängt. Vermieter dürfen die Preise nicht erhöhen, um die Lebenshaltungskosten zu stabilisieren. Dieser Schritt zeigt, dass die Führung nicht nur auf Prestigeprojekte schaut, sondern auch auf das tägliche Leben der Bürger. Gleichzeitig kämpft das Land mit einem Arbeitsmarkt, der stark von Migranten abhängig ist: Mehr als ein Drittel der Bevölkerung hat keinen saudischen Pass. Ohne diese Arbeitskräfte stünden Bau, Dienstleistungen und Haushalte still, doch politisch spielen sie keine Rolle.
Im internationalen Vergleich gilt Saudi-Arabien als wohlhabend. Das BIP pro Kopf liegt bei rund 30.000 US-Dollar, deutlich höher als in den Nachbarstaaten Jemen oder Jordanien, wenn auch niedriger als in den reichen Emiraten Katar und Vereinigte Arabische Emirate. Dieser Wohlstand verteilt sich jedoch ungleich: Während städtische Mittelschichten profitieren, bleibt das Lohngefälle zwischen Saudis und Migranten groß, und die ländlichen Regionen entwickeln sich deutlich langsamer.
Damit steht die Wirtschaft 2025 auf einem klaren Doppelgleis. Auf der einen Seite sorgen Öl und Gas weiterhin für Einnahmen, die Stabilität sichern. Auf der anderen Seite versucht die Führung, das Land mit großen Investitionen unabhängiger zu machen. Tourismus, erneuerbare Energien, Technologie und Sport sind dabei die neuen Zugpferde. Ob diese Strategie aufgeht, entscheidet sich nicht an den Zahlen von heute, sondern an der Frage, ob die Projekte in wenigen Jahren tatsächlich Arbeitsplätze schaffen und Einnahmen generieren.
NEOM Green Hydrogen – Saudi-Arabien als Pionier der Energiewende
Im Nordwesten Saudi-Arabiens, in der Wüste nahe des Golfs von Aqaba, entsteht derzeit eines der ambitioniertesten Energieprojekte der Welt. Das NEOM-Green-Hydrogen-Projekt wurde 2020 offiziell angekündigt, mitten in der Corona-Krise, als der Ölpreis einbrach und deutlich wurde, wie verwundbar das Königreich durch seine Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen ist. Initiator war Kronprinz Mohammed bin Salman, der die gesamte Megaregion NEOM als Schaufenster seiner Vision 2030 entwarf. Mit diesem Projekt will er Saudi-Arabien nicht nur einen Platz in der globalen Energiewende sichern, sondern auch beweisen, dass das Land mehr kann als Öl und Gas.
Der Bau wird von einem Konsortium getragen, das die saudische NEOM Company, den Energie- und Wasserprojektentwickler ACWA Power sowie den US-Konzern Air Products umfasst. Zusammen investieren sie rund 8,4 Milliarden US-Dollar in eine Anlage, die weltweit einzigartig ist. Herzstück sind gewaltige Solar- und Windparks mit einer Kapazität von etwa vier Gigawatt, die Strom für die Produktion von grünem Wasserstoff liefern. Dieser entsteht, wenn Wasser in großen Elektrolyseuren in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten wird. Anschließend wird der Wasserstoff in Ammoniak umgewandelt, weil er so einfacher zu transportieren ist. Geplant ist eine Produktion von bis zu 600 Tonnen grünem Wasserstoff pro Tag, was mehr als 1,2 Millionen Tonnen Ammoniak pro Jahr für den Export ergibt.

Die Erwartungen sind enorm. Saudi-Arabien will zu einem der ersten großen Exporteure von grünem Wasserstoff aufsteigen und vor allem Märkte in Europa und Asien beliefern, die dringend klimafreundliche Energieträger suchen. Damit will das Land Einnahmen schaffen, die die sinkenden Öl-Erlöse langfristig kompensieren, und sich zugleich einen technologischen Vorsprung sichern. Durch die Zusammenarbeit mit Air Products soll internationales Know-how ins Land geholt werden, um die eigene Industrie zu modernisieren. Für die Führung in Riad ist das Projekt auch eine politische Botschaft: Saudi-Arabien will nicht als Bremser der Klimawende erscheinen, sondern als aktiver Gestalter, der beweist, dass ein Ölland in einer postfossilen Welt eine neue Rolle finden kann.
Doch trotz der Euphorie bleiben die Risiken groß. Der Bau ist auf eine komplexe Lieferkette angewiesen, etwa für die Elektrolyseure, die weltweit nur wenige Hersteller in dieser Größenordnung liefern können. Schon jetzt kam es durch Engpässe und Kostensteigerungen zu Verzögerungen. Hinzu kommt der enorme Wasserbedarf, der in einer trockenen Region nur durch energieintensive Entsalzungsanlagen gedeckt werden kann. Kritiker weisen deshalb darauf hin, dass die tatsächliche Klimabilanz am Ende weniger makellos sein könnte, als es die Werbung verspricht.
Im Jahr 2025 meldet die Projektgesellschaft einen Baufortschritt von über 80 Prozent. Der kommerzielle Betrieb soll 2026 starten. Gelingt dieses Vorhaben, wäre Saudi-Arabien nicht nur ein zentraler Anbieter von Öl und Gas, sondern auch ein weltweiter Taktgeber im Markt für erneuerbare Energieträger. Damit wird klar: Das NEOM-Green-Hydrogen-Projekt ist nicht nur ein Baustein der Vision 2030, sondern ein Versuch, die Machtbasis des Landes auch in einer Welt nach dem Öl zu sichern.
Infobox: Vision 2030 – Saudi-Arabiens Fahrplan in die Zukunft
Die Vision 2030 ist das wichtigste Reformprogramm Saudi-Arabiens. Es wurde 2016 von Kronprinz Mohammed bin Salman vorgestellt und soll die Abhängigkeit vom Öl reduzieren, die Wirtschaft breiter aufstellen und das gesellschaftliche Leben modernisieren.
Kernziele:
- Wirtschaftliche Diversifizierung: Erhöhung des Anteils des Nicht-Öl-BIP auf über 50 % bis 2030.
- Internationale Investitionen: Ausbau des Public Investment Fund (PIF) auf ein Volumen von über 2 Billionen US-Dollar.
- Megaprojekte: Bau von Zukunftsstädten wie NEOM, Tourismusdestinationen wie Red Sea Global und Unterhaltungszentren.
- Erneuerbare Energien: Ausbau auf 130 Gigawatt Solar- und Windkraft bis 2030, inkl. Export von grünem Wasserstoff.
- Tourismus: Steigerung der jährlichen Besucherzahlen auf 100 Millionen (inkl. Pilgerreisen und Freizeittourismus).
- Arbeitsmarkt & Gesellschaft: Stärkung der Rolle von Frauen, Qualifizierung junger Saudis, Schaffung von Millionen neuer Jobs.
- Kultur & Sport: Förderung von Großereignissen wie der Fußball-WM 2034, Aufbau einer global wettbewerbsfähigen Sport- und Unterhaltungsindustrie.
Bedeutung:
Vision 2030 ist mehr als ein Wirtschaftsplan. Sie dient der Monarchie auch als politisches Legitimationsprojekt: Modernisierung ohne Machtverlust, Öffnung nach außen bei gleichzeitiger Bewahrung der religiösen und politischen Grundordnung.
Wie Saudi-Arabien seine eigene Energiewende gestaltet
Während Saudi-Arabien auf internationalen Märkten mit Wasserstoff und riesigen Solarprojekten Schlagzeilen macht, spielt sich im Inneren eine leisere, aber entscheidende Transformation ab. Die Regierung bemüht sich, den eigenen CO₂-Fußabdruck zu senken und den Alltag von Bürgerinnen und Bürgern stärker auf Elektrifizierung auszurichten.
Ein zentraler Schritt ist die Einführung von Elektroautos. Noch vor zehn Jahren waren sie in Riad oder Dschidda fast unsichtbar. 2025 steigt die Zahl der Neuzulassungen deutlich: Rund 5 Prozent aller neuen Fahrzeuge sind elektrisch, was im Vergleich zu 2020 einer Vervielfachung entspricht. Doch im internationalen Vergleich ist dieser Wert ernüchternd. In Deutschland liegt der Anteil bei rund 20 Prozent, in Norwegen sogar bei mehr als 80 Prozent. Das zeigt, wie klein der saudische Fortschritt im globalen Maßstab wirkt, auch wenn die Regierung ihn als großen Schritt verkauft. Um die Entwicklung voranzutreiben, hat der Staat Subventionen für E-Autos eingeführt, Ladesäulen in großen Städten aufgebaut und die Saudi Electric Vehicle Infrastructure Company gegründet, die landesweit Schnellladepunkte errichten soll. Auch Aramco, lange Symbol der fossilen Ära, investiert inzwischen in Batterieforschung und Kooperationen mit internationalen Autoherstellern.

Der Umbau betrifft aber nicht nur den Verkehr. Die Regierung verfolgt ein Programm, das den Anteil erneuerbarer Energien am Strommix bis 2030 auf rund 50 Prozent steigern soll. 2025 liegt dieser Anteil bei knapp 20 Prozent, vor allem durch große Solarfarmen nahe Riad und Mekka. Das bedeutet: Der größte Teil des Stroms stammt noch aus Gas- und Ölkraftwerken, doch der Trend verschiebt sich. In Neubaugebieten werden zunehmend Solarpaneele auf Dächern vorgeschrieben, und die staatliche Energiebehörde fördert Pilotprojekte für energieeffiziente Kühlung – ein entscheidender Faktor in einem Land, in dem Klimaanlagen den größten Teil des Stromverbrauchs ausmachen.
Auch international hat Saudi-Arabien Verpflichtungen übernommen. 2021 trat es der Initiative „Saudi Green“ bei und versprach, bis 2060 klimaneutral zu werden. Dieses Ziel ist ambitioniert, weil das Land weiterhin einer der größten Ölproduzenten der Welt ist. Doch es verpflichtet die Führung, die Energiewende auch nach innen glaubwürdig voranzutreiben. Im Rahmen des Pariser Klimaabkommens hat Riad seine nationalen Klimabeiträge zuletzt verschärft und angekündigt, bis 2030 278 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen einzusparen.
Für die Bevölkerung sind die Veränderungen sichtbar und zugleich begrenzt. Tankstellen prägen weiterhin die Straßenbilder, doch erste Elektrobusse rollen in Riad, und der Ausbau der Metro soll Pendelwege klimafreundlicher machen. Bei der Energieversorgung im Alltag setzt die Regierung auf eine Doppelstrategie: fossile Stabilität im Hintergrund, erneuerbare Symbole im Vordergrund. Das Muster gleicht einem Balanceakt – Modernisierung ja, aber ohne den Kern der alten Ordnung zu riskieren.
Im Jahr 2025 wird deutlich, dass diese Energiewende nicht linear verläuft. Öl und Strom stehen nebeneinander, so wie Kräne und Solarpaneele in den Vorstädten. Der Staat versucht, Tempo zu machen, doch die Geschwindigkeit wird letztlich davon abhängen, ob die Bevölkerung die neuen Technologien annimmt und ob die internationale Nachfrage nach klimaneutralen Lösungen hoch genug bleibt, um auch im Inneren Druck für den Wandel zu erzeugen.
Freiheit im Schaufenster, Kontrolle im Kern – Menschenrechte und Pressefreiheit in Saudi-Arabien
Die Reformen der letzten Jahre haben Saudi-Arabien ein neues Gesicht gegeben. Frauen dürfen seit 2018 Auto fahren, Freizeitangebote sind gewachsen, und internationale Konzerte oder Sportereignisse gehören inzwischen zum Stadtbild. Wie oben bereits angedeutet, bleibt dieser gesellschaftlichen Öffnung jedoch eine enge politische Rahmung gegenübergestellt. Für die Menschenrechte bedeutet das, dass Fortschritte und Restriktionen parallel existieren.
Das saudische Rechtssystem ist fest in der Scharia verankert, und genau das prägt die Strafpraxis bis heute. 2025 registrieren internationale Beobachter mehr als 100 vollstreckte Todesurteile. In den meisten Fällen handelt es sich um Drogendelikte, häufig mit ausländischen Arbeitsmigranten unter den Verurteilten. Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass die Verfahren oft nicht internationalen Standards entsprechen. Sie sehen in der hohen Zahl an Hinrichtungen einen deutlichen Widerspruch zu den wirtschaftlichen Reformen und zum Modernisierungsimage, das die Regierung im Ausland betont. Die Strafen gelten international als besonders hart und sind ein zentraler Grund für die anhaltende Kritik an der saudischen Menschenrechtslage.
Die Spezialstrafkammer (Specialized Criminal Court, SCC) wurde ursprünglich zur Terrorbekämpfung geschaffen, ist heute jedoch zu einem zentralen Instrument geworden, um Kritiker, Blogger oder Aktivisten systematisch zu verfolgen und abzuurteilen. Damit wird deutlich, was zuvor bereits angedeutet wurde: politische Opposition hat praktisch keinen legalen Raum. Im Freedom House Index, einem weltweiten Vergleichsinstrument der US-Organisation Freedom House, das Staaten nach dem Grad ihrer politischen Rechte und bürgerlichen Freiheiten bewertet, gilt Saudi-Arabien weiterhin als „not free“.
Besonders betroffen ist die schiitische Minderheit. Hier finden sich immer wieder Prozesse gegen Demonstranten, oft unter Terrorismusvorwürfen. Menschenrechtsgruppen sehen darin eine systematische Benachteiligung, die über Jahrzehnte gewachsen ist.
Die Pressefreiheit ist ebenfalls stark eingeschränkt. Lokale Medien berichten in enger Abstimmung mit der Regierung, unabhängige Kritik erscheint nicht. Ausländische Journalisten erhalten zwar Akkreditierungen, oft im Kontext großer Ereignisse, bewegen sich aber unter Auflagen. Recherchen außerhalb begleiteter Pressetouren sind selten möglich, und viele Journalisten berichten anonym von Überwachung und Eingriffen in Gespräche mit Einheimischen. Im Pressefreiheitsranking von Reporter ohne Grenzen liegt Saudi-Arabien 2025 auf Platz 166 von 180 Staaten – ein Wert, der die engen Grenzen für unabhängige Stimmen deutlich macht. Dieses Muster zeigt den Spagat: Saudi-Arabien will internationale Gäste und Sponsoren, muss aber zugleich Kritik an seiner Menschenrechtslage abfedern.
Auch die Frauenrechte verlaufen auf zwei Ebenen. Einerseits ist der Anteil von Frauen im Arbeitsmarkt auf 36 Prozent gestiegen, was doppelt so hoch ist wie vor zehn Jahren. Andererseits bestehen die Strukturen der männlichen Vormundschaft in vielen Lebensbereichen fort, etwa im Familienrecht. Besonders sichtbar wird diese Spannung im Fall der Fitness-Influencerin Manahel al-Otaibi. Sie war bereits 2023 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden, nachdem sie ohne Abaya in einem Einkaufszentrum aufgetreten war und in sozialen Medien Kritik an der männlichen Vormundschaft postete. Im Frühjahr 2025 verschärfte ein Sondergericht ihr Urteil: Sie erhielt zusätzlich elf Jahre Haft wegen „unislamischer Aktivitäten“ und „Aufstachelung zur öffentlichen Unmoral“. Der Fall zeigt, dass selbst Frauen, die von der gesellschaftlichen Öffnung profitiert hatten, jederzeit ins Visier der Justiz geraten können. Damit steht er stellvertretend für die Grenzen, die der weiblichen Selbstbestimmung im Königreich auch 2025 gesetzt sind.


Internationale Medien haben diese Widersprüche wiederholt aufgegriffen. Investigative Recherchen von BBC, Reuters und anderen zeigen Fälle, in denen Tweets oder Posts auf X zu jahrzehntelangen Haftstrafen führten. Ein Urteil von 2024, bei dem eine Studentin wegen regierungskritischer Beiträge zu 27 Jahren Haft verurteilt wurde, steht beispielhaft dafür.
So entsteht im Jahr 2025 ein Gesamtbild, das auf Spannung angelegt ist: Modernisierung wird für die Außenwelt sichtbar, Kontrolle bleibt nach innen bestimmend. Saudi-Arabien tritt international als Gastgeber und Investor auf, doch im Inneren sind die Spielräume für Opposition, freie Presse und kritische Stimmen enger denn je.
Glanzprojekte gegen harte Wirklichkeit – Saudi-Arabiens soziale Kluft und die Realität der Arbeitsmigranten
Wer durch Riad fährt, sieht an jeder Straßenecke den Widerspruch: Hochhäuser aus Glas, Einkaufszentren mit westlichen Marken, Baukräne, die die Skyline in immer neue Höhen treiben – und nur wenige Kilometer weiter einfache Wohnviertel, in denen Arbeiter aus Bangladesch oder Äthiopien in überfüllten Unterkünften leben. Dieses Nebeneinander erzählt viel über die soziale Struktur Saudi-Arabiens im Jahr 2025.
Der Wohlstand des Landes ist unübersehbar, doch er verteilt sich ungleich. Die saudische Staatsbevölkerung profitiert von Subventionen, von Programmen wie dem Citizen’s Account, das steigende Energiepreise abfedern soll, und von einem Mindestlohn, der offiziell nur für Saudis gilt. Für viele Bürger bedeutet das eine vergleichsweise sichere materielle Basis. Gleichzeitig steigen die Lebenshaltungskosten in den Metropolen, Mieten werden trotz staatlicher Eingriffe für viele Familien zur Belastung, und die Unterschiede zwischen Stadt und Land bleiben groß. In abgelegenen Regionen liegt die Arbeitslosigkeit höher, die Kaufkraft spürbar niedriger.
Ganz anders sieht es für die rund zehn Millionen Arbeitsmigranten aus, die den Arbeitsmarkt prägen und auf Baustellen, in Privathaushalten oder in der Gastronomie tätig sind. Sie sind das Rückgrat der Vision 2030-Projekte, von NEOM bis hin zu neuen Verkehrsadern, und zugleich die am stärksten gefährdete Gruppe. Noch immer wirkt das Kafala-System, das Arbeitskräfte eng an ihre Arbeitgeber bindet, obwohl es offiziell gelockert wurde. Passkonfiszierungen, nicht ausgezahlte Löhne oder der Zwang, in glühender Hitze ohne ausreichenden Schutz zu arbeiten, gehören laut Menschenrechtsorganisationen zum Alltag vieler. Besonders bei den Megaprojekten im Nordwesten wird die Lage sichtbar: NGOs berichten, dass seit Beginn der Bauarbeiten an NEOM mehr als 20.000 Migrantinnen und Migranten ums Leben gekommen seien – offiziell oft als „natürliche Todesfälle“ in Folge von Herzstillständen verzeichnet, doch in einer Umgebung, in der Temperaturen von über 45 Grad keine Seltenheit sind.

Auch wenn Reformen seit 2021 einige Verbesserungen gebracht haben – digitale Arbeitsverträge, die Möglichkeit, nach Vertragsende den Arbeitgeber zu wechseln –, bleiben große Lücken. Wer kein Saudi ist, hat keinen Zugang zu Sozialprogrammen, kein Netz, das bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit trägt. Für viele bedeutet das: Jeder verdiente Riyal fließt zurück in die Heimat, während das eigene Leben in Saudi-Arabien auf unsicherem Grund steht.
So entsteht ein Bild der Gegensätze: Ein Land, das für seine Bürger Wohlstand verspricht und für internationale Investoren Glitzerfassaden baut, steht gleichzeitig auf der Arbeitskraft von Millionen, deren Rechte nur schwach geschützt sind. 2025 ist das Gefälle zwischen Reichtum und Armut in Saudi-Arabien sichtbarer denn je – zwischen klimatisierten Einkaufszentren und spärlich belüfteten Wohnheimen, zwischen Subventionen für Staatsbürger und Abhängigkeit für Fremde. Der Glanz der Megaprojekte wird so auch zum Spiegel jener, die ihn errichten, aber selbst im Schatten bleiben.
Unter sengender Sonne – Pilgerfahrt, Hitze und der Kampf ums Wasser
Die Hajj ist die größte jährliche Pilgerfahrt der Welt und eine der fünf Säulen des Islam. Jeder gläubige Muslim soll sie nach Möglichkeit mindestens einmal im Leben unternehmen. Ziel der Hajj ist die heilige Stadt Mekka in Saudi-Arabien, die gemeinsam mit Medina als das spirituelle Zentrum des Islam gilt. Im Mittelpunkt steht die Umrundung der Kaaba, des zentralen Heiligtums im Innenhof der Großen Moschee. Die Route führt die Pilger von Mekka weiter über die Stationen Mina, das Gebet am Berg Arafat und die Nacht in Muzdalifah, bevor sie nach Mekka zurückkehren. Für Muslime ist die Hajj damit ein religiöser Höhepunkt, für den Staat Saudi-Arabien eine jährliche organisatorische Mammutaufgabe.
2024 wurde die Pilgerfahrt von extremer Hitze und Überfüllung überschattet, hunderte starben nach Medienberichten an Erschöpfung und Kreislaufversagen. Die Behörden standen international in der Kritik, zu wenig vorbereitet gewesen zu sein. 2025 hat das Königreich reagiert: Digitale Nusuk-Karten regeln Zugänge, Sperrzonen werden strenger kontrolliert, Schattenflächen ausgebaut und Kühlinfrastruktur erweitert. Offizielle Mortalitätszahlen veröffentlichte die Regierung bis Redaktionsschluss nicht. Internationale Medien berichten jedoch von einer deutlich niedrigeren Sterblichkeit als im Vorjahr, was darauf hindeutet, dass die neuen Maßnahmen Wirkung zeigen. Der Kurs ist klar: weniger Improvisation, mehr Regulierung.
Die Klimafrage geht dabei weit über die Hajj hinaus. Saudi-Arabien liegt in einer der heißesten Regionen der Erde, Temperaturen von über 45 Grad sind im Sommer normal. Die Belastung trifft nicht nur Pilger, sondern auch die Bevölkerung in den Städten und die Arbeitskräfte auf den Großbaustellen. Immer häufiger wird Hitze als strategisches Risiko diskutiert, weil sie Gesundheit, Produktivität und Energieverbrauch gleichermaßen betrifft. Klimaanlagen verschlingen bereits heute einen Großteil des nationalen Stromverbrauchs, und jede weitere Hitzewelle verschärft diese Spirale.
Eng verbunden mit dem Klima ist die Wasserversorgung. Saudi-Arabien verfügt kaum über natürliche Süßwasserreserven und gehört zu den Ländern mit der höchsten Wasserknappheit weltweit. Der Großteil des Trinkwassers kommt aus Meerwasserentsalzungsanlagen, betrieben von der staatlichen SWCC und privaten Partnern. Neue Anlagen werden zunehmend an Erneuerbare Energien gekoppelt, um Kosten und Emissionen zu senken. Gleichzeitig arbeiten Ingenieure daran, die hochkonzentrierte Salzlake – das Nebenprodukt der Entsalzung – so zu behandeln, dass Meeresökosysteme weniger belastet werden. Trotz dieser Fortschritte bleibt Wasser ein strategischer Engpass. Die Versorgung ist teuer, energieintensiv und anfällig für Störungen.

Damit zeigt sich heute ein doppeltes Bild: Technologische Fortschritte lindern Engpässe bei Energie und Wasser. Doch die strukturelle Herausforderung bleibt: Saudi-Arabien lebt unter klimatischen Bedingungen, die sich verschärfen, und unter einer Ressourcensituation, die auf Dauer kaum Spielraum lässt.
Zwischen Rivalität und Balance – Saudi-Arabiens Machtspiel im Nahen Osten und im Konzert der Mächte
Wer in Nahost über Einfluss spricht, kommt an Saudi-Arabien nicht vorbei. Das Königreich sieht sich seit Jahrzehnten als Gegengewicht zum Iran, und auch 2025 bleibt diese Rivalität ein zentraler Treiber der Außenpolitik. Während Teheran seine Macht über schiitische Milizen und verbündete Bewegungen in Irak, Syrien, Libanon und Jemen projiziert, setzt Riad auf finanzielle Unterstützung sunnitischer Gruppen, diplomatische Initiativen und direkte Militärinterventionen. Besonders im Jemen hat Saudi-Arabien seinen Anspruch als Ordnungsmacht unter Beweis gestellt. Nach Jahren des Krieges gegen die Huthi-Rebellen versucht Riad inzwischen, durch Verhandlungen Einfluss zu sichern – nicht zuletzt, weil die militärischen Kosten enorm waren und die Huthis trotz saudischer Luftschläge in weiten Teilen Nordjemens die Kontrolle behalten.
Die Machtbalance in der Region wird auch durch den Israel-Gaza-Konflikt berührt. Offiziell tritt Saudi-Arabien als möglicher Vermittler auf, verweist auf seine historische Rolle als Hüter der islamischen Stätten und auf die Notwendigkeit eines palästinensischen Staates. Gleichzeitig sucht die Führung nach Wegen, sich Israel vorsichtig anzunähern – wirtschaftlich und sicherheitspolitisch. Friedensgespräche wurden zwar durch die Eskalationen seit 2023 erschwert, doch Riad hält die Kanäle offen, vor allem unter amerikanischer Vermittlung.
Mit dem Iran gibt es seit dem von China vermittelten Abkommen vom März 2023 in Peking, das die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen und die gegenseitige Achtung der Souveränität vorsieht, zwar wieder offizielle Kontakte, doch das gegenseitige Misstrauen sitzt tief. Saudi-Arabien beobachtet die Aktivitäten der Revolutionsgarden in Syrien, Irak und am Golf mit Argwohn und investiert zugleich massiv in die eigene Luftabwehr, um Drohnen- und Raketenangriffe abzuwehren. Ein saudischer Offizier fasste es kürzlich so zusammen: „Wir können uns Entspannung leisten, solange wir verteidigt sind.“
Auch jenseits der direkten Konfliktlinien versucht das Königreich, seinen Einfluss gezielt auszuweiten. Ägypten erhielt allein 2024 Hilfen und Kreditzusagen in Höhe von rund 10 Milliarden US-Dollar, um seine fragile Wirtschaft zu stabilisieren, während Pakistan durch saudische Öl-Lieferungen auf Kreditlinien im Wert von mehreren Milliarden abgesichert wird. Am Roten Meer investieren saudische Fonds in Hafenprojekte und Infrastruktur in Dschibuti, Sudan und Eritrea, oft verbunden mit langfristigen Konzessionen. In der Arabischen Liga tritt Riad seit 2023 wieder aktiver als Gastgeber von Gipfeln auf, finanziert Sekretariatsprojekte und nutzt seine Rolle, um Resolutionen gegen den Iran oder zugunsten palästinensischer Anliegen zu prägen. Partnerstaaten wie Jordanien oder Bahrain loben Saudi-Arabien als Stabilitätsanker, weil es Liquidität, Arbeitsplätze und Schutzgarantien liefert. Kritiker hingegen sehen genau darin ein machtpolitisches Kalkül: Durch Kredite und Investitionen schaffe sich Riad Abhängigkeiten, die Einfluss und Loyalität sichern sollen.
Auf globaler Ebene agiert Saudi-Arabien 2025 wie ein Stratege, der auf mehreren Schachbrettern zugleich zieht. Mit den USA bleibt die Sicherheitsallianz eng: Rund 70 Prozent der saudischen Rüstungsgüter stammen weiterhin aus amerikanischer Produktion; allein 2024 wurden Lieferungen im Wert von über 3 Mrd. US-Dollar genehmigt. Mit Russland verbindet Saudi-Arabien die Schlüsselrolle im Kartell OPEC+: Beide Länder stehen für fast 40 Prozent der weltweiten Fördermenge und koordinierten 2024 eine Verlängerung der Produktionskürzungen, die den Ölpreis über 80 US-Dollar pro Barrel stabilisierten. China ist wichtigster Abnehmer saudischen Rohöls (2025: Lieferungen in Richtung 1,7 Mio. Barrel pro Tag laut Handelskreisen) und zugleich Technologiepartner beim Ausbau von 5G-Netzen.
Europa bleibt ein zentraler Markt – und zwar messbar: 2024 importierte die EU rund 9,1 Mio. Barrel Rohöl pro Tag, davon 0,66 Mio. b/d aus Saudi-Arabien (7,2 % Anteil). Nach dem EU-Embargo auf russisches Seerohöl (seit 05.12.2022) und Ölprodukte (seit 05.02.2023) wuchs die Bedeutung saudischer Lieferungen für die europäische Versorgung. Deutschland bezieht im EU-Verbund ebenfalls saudisches Rohöl; 2024 lagen die deutschen Rohölimporte aus Saudi-Arabien bei rund 1,1 Mrd. US-Dollar (UN-Comtrade). Parallel stiegen die gesamten deutschen Rohölimporte 2024 wieder an, nachdem Russland als Hauptlieferant wegfiel.
Umstritten sind in Deutschland die Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien. Der Stopp im Jahr 2018 ging zurück auf zwei Auslöser: Zum einen den Mord am Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul, zum anderen die massive Kritik an der saudischen Kriegsführung im Jemen. Vor diesem Hintergrund verhängte Berlin ein Exportmoratorium. 2024 wurde diese Linie punktuell gelockert, etwa mit der Genehmigung von 150 IRIS-T-Luft-Luft-Raketen, und auch die Blockade gegen eine mögliche Eurofighter-Typhoon-Lieferung wurde aufgehoben. Befürworter argumentieren mit Sicherheitskooperation, industrieller Wertschöpfung und Bündnisfähigkeit. Kritiker verweisen auf Menschenrechtslage und das Risiko, dass deutsche Technologie in regionalen Konflikten eingesetzt wird.

Darüber hinaus verstärkt Saudi-Arabien seine Beziehungen zu Indien, wo das Handelsvolumen 2024 die Marke von 50 Mrd. US-Dollar überschritt, vor allem durch Öl- und Petrochemiegeschäfte. Im Rahmen der G20 positioniert sich Riad als Brückenbauer zwischen Schwellenländern und Industriestaaten und nutzt dabei sein Finanzpolster, um Entwicklungsprojekte mitzufinanzieren.
Für Kronprinz Mohammed bin Salman liegt die Stärke dieses Kurses darin, keine einseitige Abhängigkeit entstehen zu lassen. Riad sucht Sicherheit bei den USA, Marktmacht mit Russland, Handel mit China, Technologie mit Europa und Wachstum mit Indien. Doch der Balanceakt ist nicht ohne Risiken. Er hängt am Ölpreis, der die Staatsfinanzen steuert, er kann durch geopolitische Polarisierungen zwischen Washington, Moskau und Peking ins Wanken geraten, und er ist innenpolitisch nur so lange tragfähig, wie die Vision-2030-Reformen den Erwartungen der jungen saudischen Bevölkerung gerecht werden. Kritiker verweisen zudem auf die Menschenrechtslage, die westliche Kooperation jederzeit infrage stellen könnte. Damit ist Saudi-Arabien 2025 beides zugleich: ein Regionalakteur, der zwischen Rivalität und Vermittlung laviert, und ein globaler Partner, der seine Bündnisse mit Ost und West austariert. Ob dieser Balanceakt dauerhaft trägt, bleibt angesichts dieser Unsicherheiten offen.
Ein Ausblick: Saudi-Arabien zwischen Erwartungen und Bewährungsproben
Allein durch die internationale Aufmerksamkeit auf die anstehende WM 2034 rücken soziale Fragen stärker in den Vordergrund. Beobachter und Menschenrechtsorganisationen werden genau verfolgen, wie das Königreich mit Themen wie Arbeitsmigranten, Mietpreisen oder gesellschaftlicher Teilhabe umgeht. Die Regierung wird sich daran messen lassen müssen, ob die angekündigten Reformen tatsächlich im Alltag spürbar werden.
Auch wirtschaftlich stehen entscheidende Monate bevor. Vision-2030-Projekte müssen sichtbare Fortschritte liefern, um Vertrauen bei Investoren und Bevölkerung zu erhalten. Gleichzeitig bleibt das Land abhängig vom Ölpreis, während es den Einstieg in erneuerbare Energien und Wasserstoff forciert. Außenpolitisch hängt viel davon ab, ob die Verständigung mit Iran hält und ob Saudi-Arabien die Balance zwischen den USA, China, Russland und Europa wahren kann.

Auf einer Baustelle in Riad schlägt die Mittagssonne auf nackten Beton. Hier entsteht die Infrastruktur für die Fußball-Weltmeisterschaft 2034. Ein Arbeitsmigrant aus Bangladesch steht in der gleißenden Hitze, während sein Vorarbeiter im Schatten einer Plane Anweisungen gibt. „Wie lange bist du schon hier?“, fragt er beiläufig. „Acht Jahre“, sagt der Mann, die Stimme heiser. „Ich schicke fast alles nach Hause, damit meine Kinder eines Tages studieren können.“ Der Vorarbeiter nickt, doch sein Blick bleibt auf den Bauplan gerichtet. „Dann gib Gas. Wir müssen im Zeitplan bleiben.“
Dieses kurze Gespräch erzählt mehr als ein einzelnes Schicksal. Es zeigt, wie viel von Saudi-Arabiens Modernisierung auf den Schultern jener lastet, die im Schatten stehen. Für das Königreich bedeutet die WM eine Bühne, auf der sich alles verdichtet: die Hoffnung auf Investitionen, die Erwartungen der eigenen Bevölkerung, der kritische Blick der Welt auf Menschenrechte, Klima und soziale Gerechtigkeit. Ob in den kommenden Jahren tatsächlich mehr Raum zum Atmen entsteht – für Arbeiter, Familien und die Gesellschaft insgesamt – oder ob alte Strukturen die neue Fassade überlagern, wird darüber entscheiden, wie Saudi-Arabien 2034 in Erinnerung bleiben wird.
Quellenliste Saudi-Arabien mit Links
- Amepres Lokaljournalisten-Netzwerk Riad / Nairobi (Kenia)
Wirtschaft & Finanzen
- International Monetary Fund (IMF), Article IV Consultation Saudi Arabia 2025 – Prognosen zu BIP, Inflation, Fiskal- und Leistungsbilanz
https://www.imf.org/en/Publications/CR/Issues/2025/07/12/Saudi-Arabia-Article-IV-Consultation-2025-563921 - Saudi Ministry of Finance (MoF), Budget Statement 2025 & Pre-Budget Dokumente
https://www.mof.gov.sa/en/financialreport/budget - Saudi Central Bank (SAMA), Quartalsberichte zu Öl- und Nicht-Öl-Einnahmen
https://www.sama.gov.sa/en-US/EconomicReports/Pages/Reports.aspx
Öl, Energie & Vision 2030
- OPEC+, Beschlüsse und Produktionskürzungen Saudi-Arabiens
https://www.opec.org/opec_web/en/press_room/28.htm - Saudi Aramco, Produktionskapazitäten und Unternehmensberichte
https://www.aramco.com/en/investors/annual-reports - NEOM Project – Projektstatus, Baufortschritt, Bevölkerung und Planungen
https://www.neom.com/en-us - Red Sea Global – Tourismusprojekte, Zeitpläne
https://www.redseaglobal.com/en - ACWA Power & Badeel – 15 GW Erneuerbare-Projekte
https://www.acwapower.com/
Wasserstoff & Energiewende
- Air Products – Offtake Agreement NEOM Green Hydrogen
https://www.airproducts.com/company/news-center/2021/07/0721-air-products-neom-acwa-partner - NEOM Green Hydrogen Company – Projektfortschritt, Capex, Elektrolyseure
https://www.neom.com/en-us/regions/oxagon/green-hydrogen - Internationale Energieagentur (IEA) – Saudi-Arabien Energie- und Klimadaten
https://www.iea.org/countries/saudi-arabia
Gesellschaft, Recht & Menschenrechte
- Human Rights Watch – Jahresbericht Saudi-Arabien 2025
https://www.hrw.org/world-report/2025/country-chapters/saudi-arabia - Amnesty International – Todesstrafen, Menschenrechtslage
https://www.amnesty.org/en/location/middle-east-and-north-africa/saudi-arabia/report-saudi-arabia/ - Reprieve – Exekutionsstatistiken Saudi-Arabien
https://reprieve.org.uk/ - Reporters Without Borders (RSF) – Pressefreiheitsindex 2025
https://rsf.org/en/country/saudi-arabia - Freedom House – Freedom in the World Index (Erklärung der Einstufung Saudi-Arabien)
https://freedomhouse.org/country/saudi-arabia/freedom-world/2025
Innenpolitik & Justiz
- Specialized Criminal Court (SCC) – Berichte über Verfahren und Urteile
https://www.amnesty.org/en/latest/research/2024/06/saudi-specialized-criminal-court/ - Fall Manahel al-Otaibi – HRW, Amnesty, BBC
https://www.hrw.org/news/2024/01/03/saudi-arabia-womens-rights-activist-sentenced
Außenpolitik & Sicherheit
- Saudi Ministry of Foreign Affairs – Offizielle Statements, Abkommen
https://www.mofa.gov.sa/en/ - Saudi–Iran Agreement 2023 (vermittelt durch China, Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen)
https://www.aljazeera.com/news/2023/3/10/saudi-arabia-iran-agree-to-reestablish-ties - Saudi–Pakistan Strategic Defense Agreement 2025
https://www.reuters.com/world/middle-east/saudi-arabia-pakistan-sign-defense-agreement-2025-05-14/ - UN Berichte zu Huthi-Angriffen im Roten Meer
https://press.un.org/en/2025/sc15573.doc.htm
Hajj, Klima & Wasser
- Saudi Hajj Ministry – Offizielle Pilgerzahlen, Regularien
https://www.haj.gov.sa/en - Nusuk App – digitale Hajj-Verwaltung
https://www.nusuk.sa/ - SWCC (Saline Water Conversion Corporation) – Entsalzungsanlagen, Brine Management
https://www.swcc.gov.sa/en - UN Water – Saudi-Arabien Wasserknappheit
https://www.unwater.org/
Migranten & Humanitäre Lage
- Human Rights Watch – Bericht zu Arbeitsmigranten bei NEOM
https://www.hrw.org/report/2024/12/04/die-first-and-ill-pay-you-later/saudi-arabias-giga-projects-built-widespread - Amnesty International – Arbeitsmigranten, Kafala-System
https://www.amnesty.org/en/documents/mde23/5670/2022/en/ - International Labour Organization (ILO) – Saudi-Arabien Arbeitsstandards
https://www.ilo.org/global/about-the-ilo/how-the-ilo-works/multilateral-system/country-profiles/WCMS_626617/lang–en/index.htm

