Katar im September 2025: Reichtum aus Gas – und eine wachsende Schuld an der Welt
Lizenzartikel von Jürgen Dirrigl – Titelbild und alle nicht gekennzeichneten Bilder im Artikel : AMEPRES
Salma steht am Fenster ihrer Wohnung in Dohas Stadtteil Leqtaifiya. Unten auf der Straße sammeln sich schon die ersten Autos, die sich langsam zwischen den Hochhäusern hindurchschieben. Auf dem Glas zeichnet sich der feine Riss ab, der seit der letzten Nacht dort ist. Eine Druckwelle ließ die Scheiben erzittern. Sie erinnert sich, wie sie ihre Enkelin im Arm hielt, während draußen Sirenen heulten und ein dumpfes Grollen die Stille durchbrach. Noch immer hört sie in Gedanken das kurze, ängstliche Flüstern des Kindes, das nach einem Gewitter fragte. Sie antwortete, es sei nur Lärm, der vorübergehe, und drückte das Mädchen dabei fester an sich, bis der Boden unter ihnen wieder still wurde.
Sie hat wie an jedem Morgen Tee gekocht. Der Duft von Kardamom steigt auf, während sie die Zeitung aufschlägt, die wie gewohnt vor der Tür gelegen hat. Auf der Titelseite prangen die Bilder des Angriffs, dazu nüchterne Zeilen, die das Geschehen in Worte fassen wollen. Daneben stehen andere Meldungen: von der Wirtschaft, die trotz allem stabil wächst, von neuen Wasserreservoirs, die für Sicherheit sorgen sollen, und von den großen Energieprojekten, die das Land mit Stolz vorantreibt. Salma streicht langsam über die gedruckten Zeilen, doch ihre Gedanken gleiten immer wieder zurück in die Nacht, in der Doha von den Detonationen erschüttert und die Menschen für Stunden in Angst gehüllt waren.
Ein leiser Schritt im Flur reißt sie heraus. Ihre Enkelin kommt mit ihrer Schultasche ins Zimmer, bereit für den Unterricht. Mit einer raschen Bewegung zieht das Mädchen die Träger fester über die Schultern, als wolle es sich noch einmal sammeln, bevor es hinausgeht. Salma beobachtet sie still, reicht ihr ein Stück Brot, streicht über ihr Haar und lässt sie dann ziehen. Die Tür fällt ins Schloss, und für einen Moment ist die Wohnung still. Draußen beginnt der Tag, als sei nichts geschehen. Doch Salma weiß, dass dieser Morgen nicht einfach nur ein weiterer ist, sondern einer, an dem die Erinnerung an die Nacht noch schwer auf allem liegt.
Ein Blick auf Katars gegenwärtige Lage
Der 9. September 2025 markierte einen Bruch in der Selbstwahrnehmung Katars. In den frühen Morgenstunden erschütterte ein Angriff die Hauptstadt Doha, gezielt auf ein Wohnviertel im Stadtteil Leqtaifiya. Israel erklärte später, man habe dort hochrangige Mitglieder der Hamas ins Visier genommen, die Katar als Vermittler im Gaza-Krieg zeitweise beherbergt hatte. Die Regierung in Jerusalem sprach von einem „präventiven Schlag gegen die Terrorführung“, während Doha die Attacke als „Staatsterrorismus“ verurteilte und von einer klaren Verletzung seiner Souveränität sprach. Für die Menschen im Land war es das erste Mal seit Jahrzehnten, dass geopolitische Konflikte unmittelbar in die eigene Stadt getragen wurden. Während die Behörden das Gebiet absperrten und der UN-Sicherheitsrat in New York in einer Sondersitzung tagte, wurde deutlich, wie nah die regionalen Fronten plötzlich an den Alltag Katars heranrücken.

Parallel zum Angriff bestätigte der Internationale Währungsfonds, dass die Wirtschaft Katars stabil wächst, bei fast null Inflation und soliden Staatsfinanzen. Die großen LNG-Projekte rund um das North Field laufen weiter nach Plan, das Land baut seine Rolle als globaler Gasexporteur konsequent aus. Mit langfristigen Verträgen nach Indien, China und bald wohl auch Japan verschafft sich Katar Sicherheit in einem zunehmend unsicheren Energiemarkt. Zugleich werden Hunderte neue LNG-Tanker gebaut, um das Gas auch tatsächlich zu den Kunden zu bringen. Wirtschaftlich ist Katar damit besser aufgestellt als viele Nachbarn.
Auch im Inneren setzt das Emirat auf Sicherheit und Vorsorge. Strategische Wasserreserven reichen inzwischen für mehrere Tage, moderne Entsalzungsanlagen sichern die fragile Versorgung einer wachsenden Bevölkerung etwas besser als noch in den letzten Jahren. Gleichzeitig zeigen die Schlagzeilen aber, dass es offene Fragen gibt: Menschenrechte bleiben ein wunde Stelle, internationale Organisationen kritisieren Lücken bei der Durchsetzung. Die Baha’i-Gemeinschaft erlebt in diesen Monaten Diskriminierung und Verfolgung, und der Streit um Entschädigungen für Arbeiter der Fußball-WM 2022 ist noch immer nicht beigelegt. Diese Themen schwingen im Hintergrund mit, auch wenn die Regierung betont, man halte am Kurs von Reformen fest.
Ein weiteres Kapitel der Gegenwart schreibt sich am Himmel über Doha. Der Hamad International Airport meldet Rekordzahlen, Qatar Airways verbucht den höchsten Gewinn seiner Geschichte. Mit neuen Bestellungen bei Boeing und Airbus rüstet sich die Airline für eine Zukunft, die sie weiter zur Nummer eins im Frachtverkehr machen soll. Währenddessen investieren Staat und Unternehmen in Klimapolitik. Ein nationaler Plan sieht vor, die Emissionen bis 2030 um 25 Prozent zu senken, Methan-Leckagen zu minimieren und CO₂-Abscheidung in großem Maßstab einzuführen. Das ist nur scheinbar ein Balanceakt, denn das Land steigert weiterhin seine Gasexporte in die Welt – und vermarktet ernsthafte Bestrebungen lediglich, die vermeintlich die eigene Klimabilanz verbessern.
So entsteht ein widersprüchliches Bild. Auf der einen Seite ist Katar ein Emirat im Krisenmodus, das mit einem Angriff auf seine Hauptstadt umgehen muss und seine Rolle als Vermittler im Gaza-Krieg unter Beweis stellen will. Auf der anderen Seite steht ein Staat mit gefüllten Kassen, ehrgeizigen Infrastrukturprojekten und einer Fluggesellschaft, die den Namen des Landes täglich in alle Welt trägt. Zwischen diesen Polen bewegt sich der Alltag der Menschen – zwischen dem Echo der Explosionen und dem Versprechen, dass Normalität möglich bleibt. Deshalb lohnt es sich nun genauer hinzuschauen.
Wie Katar regiert wird – Staatsform, Herrscher und Entscheidungswege
Katar ist eine absolute Monarchie. Das bedeutet, dass die gesamte politische Macht weiterhin beim Herrscher des Landes liegt, dem Emir. Seit nunmehr zwölf Jahren trägt Tamim bin Hamad Al Thani diesen Titel. Er folgte damals seinem Vater Hamad bin Khalifa Al Thani, der 2013 freiwillig zurücktrat. Der Emir ist nicht nur Staatsoberhaupt, sondern zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte und die zentrale Figur in allen wichtigen Entscheidungen des Landes. Bis heute bestimmt er die Richtung der Politik, er ernennt die Minister, kontrolliert die Regierung und entscheidet letztlich über den Kurs Katars.

Ein Parlament im klassischen Sinn gibt es auch 2025 nicht. Stattdessen existiert die sogenannte Shura, ein Konsultativrat mit 45 Mitgliedern. Von diesen werden 30 über Wahlen bestimmt, 15 ernennt weiterhin der Emir. Doch selbst diese gewählten Vertreter haben nur begrenzten Einfluss. Sie dürfen Gesetzesvorschläge diskutieren und Änderungen anregen, doch die letzte Entscheidung liegt immer beim Emir. Parteien bleiben verboten, weshalb es bis heute keine organisierte Opposition gibt. Politischer Wettbewerb, wie man ihn aus Demokratien kennt, spielt in Katar keine Rolle. Kritik äußert sich allenfalls im Rahmen der Shura, und auch dort nur in engen Grenzen.
Die Regierung besteht aus einem Ministerrat, vergleichbar mit einem Kabinett. An dessen Spitze steht seit 2023 Scheich Mohammed bin Abdulrahman Al Thani, der zugleich Außenminister ist. Unter seiner Leitung setzt der Ministerrat die Vorgaben des Emirs um, bereitet Gesetze vor und überwacht die Verwaltung. Doch die Realität zeigt auch 2025: Ohne Zustimmung des Emirs hat keine Entscheidung Bestand. Die Entscheidungswege sind kurz und stark zentralisiert. Außen- und Wirtschaftspolitik werden von einem kleinen Kreis gelenkt, in dem der Emir und wenige Schlüsselminister die entscheidenden Stimmen haben.
Das Rechtssystem Katars stützt sich bis heute auf eine Mischform aus zivilem Recht und islamischem Recht, der Scharia. In Familien- und Erbfragen, aber auch in bestimmten Strafsachen wird die Scharia weiterhin direkt angewandt. Das bedeutet, dass Gerichte nach islamischem Recht urteilen, während in Handels- und Verwaltungssachen meist modernes Zivilrecht zum Einsatz kommt. Der Islam bleibt die prägende Grundlage der politischen Kultur, festgeschrieben als Staatsreligion in der Verfassung. Öffentliche Kritik an Religion oder Abweichungen von der religiösen Norm sind nach wie vor kaum möglich. Auch wenn Katar im Vergleich zu einigen Nachbarstaaten als offener gilt, bleibt der Glaube ein Fundament, auf dem sowohl Rechtsprechung als auch gesellschaftliche Ordnung beruhen.
Katar ist ein Staat, in dem Entscheidungen nach wie vor in erster Linie innerhalb der Herrscherfamilie fallen. Öffentliche Debatten, oppositionelle Parteien oder gar wechselnde Mehrheiten gibt es nicht. Wer die gegenwärtige Lage des Landes verstehen will, muss sich bewusst machen, dass Politik hier bis heute von oben nach unten gestaltet wird – und dass der Wille des Emirs letztlich über allem steht.
Katar von innen – Gesellschaft, Recht und Alltag im Emirat
Wer auf Katar im Jahr 2025 blickt, erkennt ein Land, das äußerlich modern wirkt und doch in vielen Bereichen von traditionellen Strukturen geprägt ist. Das kleine Emirat mit knapp über drei Millionen Einwohnern lebt mit einer Besonderheit: Nur rund zwölf Prozent sind katarische Staatsbürger, die große Mehrheit besteht aus Migrantinnen und Migranten. Sie kommen vor allem aus Südasien, Ostafrika und den arabischen Nachbarstaaten. Ohne sie würde der Alltag im Land nicht funktionieren – sie arbeiten im Bau, in Haushalten, in der Gastronomie und im Dienstleistungssektor. Dieses Ungleichgewicht zwischen Bürgern und Arbeitsmigranten prägt die Gesellschaft. Ähnlich ist die Situation in anderen Golfstaaten wie den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kuwait oder Bahrain, wo ebenfalls nur ein Bruchteil der Bevölkerung Staatsbürger sind und die Wirtschaft stark auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen bleibt. Staatsbürger genießen überall dort umfangreiche Vorteile, während Migranten trotz Reformen meist in prekären Verhältnissen leben.
Im gesellschaftlichen Leben zeigt sich ein Nebeneinander von Tradition und Moderne. In Doha bestimmen gläserne Hochhäuser, internationale Schulen und Einkaufszentren den Alltag, doch jenseits der Metropole prägen konservative Strukturen viele Abläufe. Familienleben und sozialer Status sind eng an den Stamm und an die Zugehörigkeit zur Al-Thani-Familie oder verbündeten Clans geknüpft. Die gesellschaftliche Hierarchie ist sichtbar, und auch wenn Bildung und neue Rollenbilder vor allem bei jungen Frauen an Bedeutung gewinnen, bleiben Geschlechterrollen durch das islamische Recht weitgehend festgelegt. Frauen dürfen studieren, arbeiten und Autofahren, dennoch liegt der Einfluss in politischen und wirtschaftlichen Spitzenpositionen fast ausschließlich bei Männern. Eine Ausnahme bildet Scheikha Al Mayassa bint Hamad Al Thani, Schwester des Emirs, die als Leiterin der Qatar Museums Authority internationale Anerkennung genießt und durch ihre Entscheidungen das kulturelle Leben des Landes prägt. Sie steht sinnbildlich dafür, dass Frauen in einzelnen Bereichen durchaus Einfluss gewinnen können, auch wenn sie im politischen Kernsystem weiter marginalisiert bleiben.
Das Rechtssystem sorgt für einen Alltag, in dem Regeln klar, aber auch streng gefasst sind. Meinungsfreiheit existiert in engen Grenzen, auch die Presse unterliegt staatlicher Kontrolle. Unabhängiger Journalismus ist kaum möglich, Medien werden stark überwacht und dienen in erster Linie der Steigerung des nationalen Narrativs.
Im Alltag zeigt sich Katar organisatorisch effizient. Behörden arbeiten digitalisiert, viele Dienstleistungen sind online zugänglich, und die Verwaltung ist im regionalen Vergleich modern. Die Gesundheitsversorgung gilt als eine der besten im Nahen Osten, getragen von massiven Investitionen des Staates. Das Bildungssystem wurde in den letzten Jahren modernisiert und zieht internationale Universitäten an, die im sogenannten Education City angesiedelt sind. Dort haben renommierte Hochschulen wie Georgetown, Carnegie Mellon oder University College London Zweigstellen aufgebaut. Diese Einrichtungen bieten jungen Katarern und ausgewählten Migrantenkindern Chancen, die über den regionalen Standard hinausgehen.

Gleichzeitig bleibt das Land von starken Gegensätzen geprägt. Während die Elite Zugang zu exklusiven Schulen und Kliniken hat, leben viele Gastarbeiter in einfachen Unterkünften am Stadtrand, teils noch immer unter Bedingungen, die von internationalen Organisationen kritisiert werden. Der Staat hat in den letzten Jahren versucht, die schlimmsten Auswüchse des alten Kafala-Systems zu beseitigen, das Arbeitsmigranten von ihren Arbeitgebern abhängig machte. Doch die Realität zeigt, dass viele noch immer von niedrigen Löhnen und eingeschränkter Bewegungsfreiheit betroffen sind. Amnesty International und Human Rights Watch erinnern regelmäßig daran, dass Reformen zwar beschlossen, aber nicht konsequent umgesetzt werden.
Abseits der glitzernden Skyline von Doha zeigt sich Katar im Landesinneren deutlich schlichter. Dörfer und kleine Gemeinden existieren vor allem im Norden und Westen, wo traditionell Dattelpalmen und Viehzucht das Bild prägen. Landwirtschaft ist jedoch durch die Wüstenlandschaft stark begrenzt und nur mithilfe moderner Bewässerungssysteme möglich. Angebaut werden vor allem Gemüse wie Tomaten, Gurken und Paprika, daneben Futterpflanzen für Schafe, Ziegen und Kamele. Einen großen Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt leistet die Landwirtschaft nicht, sie deckt nur einen Bruchteil des Eigenbedarfs. Viele Produkte werden weiterhin importiert. Einkommen auf dem Land liegen im Schnitt deutlich unter dem Niveau in den Städten, weshalb ländliche Gemeinden oft von staatlichen Subventionen und Beschäftigung im öffentlichen Dienst abhängen. Stämme spielen dabei noch eine identitätsstiftende Rolle, doch ihre ökonomische Macht ist stark zurückgegangen. Politisch sichern sie Loyalität gegenüber dem Herrscherhaus, im Alltag wirken sie vor allem als soziale Netzwerke. Das Landleben bietet weniger Luxus, aber auch weniger Kosten als Doha. Dennoch bleibt die Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung groß, und die Kluft zu den urbanen Eliten ist sichtbar.
Religiöses Leben bleibt im Alltag sichtbar, ohne den Kern der Politik zu bestimmen. In Doha existieren genehmigte Kirchen für christliche Gemeinschaften, die ihre Gottesdienste innerhalb enger Auflagen abhalten dürfen. Religiöse Vielfalt ist damit zwar erlaubt, bleibt jedoch weitgehend im privaten Raum verankert. Für nicht-muslimische Minderheiten bedeutet das eine eingeschränkte, aber dennoch vorhandene Möglichkeit, ihren Glauben zu praktizieren – ein Unterschied zu einigen strengeren Nachbarstaaten.
So entsteht im Inneren Katars ein komplexes Bild: ein wohlhabender, hochorganisierter Staat, der seinen Bürgern Sicherheit, Komfort und Versorgung garantiert, gleichzeitig aber auf ein System setzt, das stark von Überwachung geprägt ist. Diese wird von der Regierung als notwendige Stabilitätsgarantie dargestellt, bedeutet in der Praxis jedoch, dass Menschenrechte eingeschränkt bleiben und Bürger wie Migranten wissen, dass ihr Alltag jederzeit unter Beobachtung steht. Ein Land, das in Bildung und Gesundheit Investitionen auf Weltniveau tätigt, aber politische Teilhabe weitgehend verweigert. Und ein Staat, der religiöse Traditionen wahrt und zugleich den Anschein einer modernen, globalisierten Gesellschaft vermittelt. Dieses Spannungsfeld prägt den Alltag Katars stärker als die glänzenden Fassaden seiner Hauptstadt vermuten lassen.
Katars Wirtschaft – ein Überblick über Zahlen, Treiber und Finanzplätze
Im Herbst 2025 präsentiert sich die Wirtschaft Katars als stabil und gut abgesichert. Besonders deutlich wird das an der Inflation, also den Preissteigerungen im Alltag. Nach einem sprunghaften Anstieg im Jahr 2022, als die Folgen der Corona-Pandemie und teurere Energieimporte die Preise in die Höhe trieben, ist die Teuerung seitdem jedes Jahr gesunken. 2023 lag sie noch bei über drei Prozent, 2024 bei zweieinhalb Prozent, und aktuell pendelt sie knapp unter einem Prozent. Für die Menschen im Land bedeutet das: Einkäufe, Mieten und Dienstleistungen sind seit drei Jahren Schritt für Schritt günstiger geworden, was den Alltag spürbar entlastet.

Ein weiterer Maßstab für die Stärke der Wirtschaft ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Es misst, wie viele Waren und Dienstleistungen ein Land in einem Jahr erzeugt. In Katar hängt dieser Wert stark am Gasexport. Während der Pandemie brach die Wirtschaftsleistung ein, stieg dann aber rasch wieder an. 2022 wuchs sie ungewöhnlich stark, weil Europa und Asien nach Ersatz für russisches Gas suchten. In den Folgejahren hat sich das Wachstum normalisiert: 2023 lag es bei gut drei Prozent, 2024 etwas darunter, und 2025 erwarten Experten ein Plus von etwas über zwei Prozent. Damit wächst Katar langsamer, aber auf hohem Niveau, und zeigt, dass sich die Wirtschaft nach dem Ausnahmejahr 2022 auf ein stabiles Fundament gestellt hat.

Der größte Motor der Wirtschaft bleibt das Flüssiggas. Katar besitzt eines der größten Gasfelder der Welt, das North Field. Dort wird Gas verflüssigt, um es per Schiff in alle Welt liefern zu können. Langfristige Verträge mit Ländern wie China oder Indien sichern Katar feste Einnahmen über viele Jahre. Um diese Mengen transportieren zu können, baut das Land zusammen mit internationalen Werften Hunderte neue LNG-Schiffe. So ist gewährleistet, dass die Gewinne aus dem Gasgeschäft nicht nur heute, sondern auch in Zukunft fließen. Zugleich hängt vieles davon ab, wie stabil die Weltmärkte bleiben – Konflikte im Nahen Osten oder Störungen im Schiffsverkehr könnten Preise und Transportkosten jederzeit nach oben treiben.

Doch Katar stützt sich nicht nur auf Gas. Eine zweite Säule ist der Luftverkehr. Qatar Airways, die nationale Fluggesellschaft, hat für das Jahr 2024/25 den höchsten Gewinn ihrer Geschichte gemeldet. Der Hamad International Airport in Doha zählt inzwischen zu den größten Flughäfen der Welt und hat im August mehr als fünf Millionen Passagiere in nur einem Monat abgefertigt. Das ist nicht nur eine Zahl für die Statistik. Es zeigt, dass Katar es geschafft hat, sich als Drehkreuz zwischen Asien, Europa und Afrika zu etablieren. Hotels, Restaurants und Messezentren profitieren davon direkt, weil mehr Besucher länger im Land bleiben.

Parallel investiert das Land in den Hafen von Hamad und in Sonderwirtschaftszonen, die ausländische Firmen anziehen sollen. Der Tourismus, befeuert durch Luxushotels und Sportevents, wächst zwar, bleibt aber anfällig für geopolitische Spannungen. Katars Position als globaler Knotenpunkt steht damit auf einer soliden Basis, ist jedoch nicht risikofrei.
Das Finanzwesen des Landes ist ebenfalls ein entscheidender Faktor. Banken in Katar gelten als stabil und sind gut ausgestattet. Sie vergeben Kredite für Bauprojekte, Unternehmen oder den privaten Konsum. Weil die Währung fest an den US-Dollar gebunden ist, bewegen sich auch die Zinsen – also die Kosten für Kredite – in ähnlichen Bahnen wie in den USA. Für Bürger und Firmen bedeutet das Berechenbarkeit, was Investitionen erleichtert. Dazu kommt das Qatar Financial Centre (QFC), ein spezielles Finanzviertel in Doha, in dem sich internationale Firmen niederlassen können. Dort sind inzwischen mehr als 3.000 Unternehmen registriert – von Versicherungen über Beratungsfirmen bis hin zu Finanzdienstleistern. Sie bringen Know-how ins Land und sorgen dafür, dass Katar auch im nicht-energetischen Bereich stärker vernetzt wird.
An der Börse in Doha, der Qatar Stock Exchange, werden Aktien und Anleihen gehandelt. Sie dient dem Staat und den Unternehmen als Plattform, um Geld einzusammeln. Während die Börse international noch keine große Rolle spielt, wächst ihre Bedeutung für die eigene Wirtschaft. Dazu kommt, dass internationale Ratingagenturen wie Moody’s oder Fitch Katar weiterhin sehr gute Noten geben. Solche Ratings sind wichtig, weil sie Anlegern signalisieren, dass das Land seine Schulden zuverlässig bedienen kann.
Trotz aller Erfolge bleibt die Wirtschaft nicht ohne Risiken. Politische Spannungen im Nahen Osten können Investoren verunsichern und Handelswege verteuern. Besonders der israelische Angriff auf Doha am 9. September 2025 hat die internationale Geschäftswelt aufgeschreckt. Für viele Investoren und neu angesiedelte Firmen war er ein unerwarteter Schock, der deutlich machte, wie schnell geopolitische Ereignisse das Vertrauen in einen Standort erschüttern können. Auch steigende Zinsen in den USA wirken sich direkt auf Katar aus, weil die eigene Währung daran gebunden ist. Doch Katar verfügt über große Rücklagen in seinem Staatsfonds, dem Qatar Investment Authority. Mit diesem Vermögen kann das Land Krisen abfedern und im Notfall Milliarden mobilisieren.
Zusammengefasst lässt sich sagen: Katars Wirtschaft wächst stabil, die Preise bleiben niedrig, die Banken sind solide, und der Finanzplatz gewinnt an Gewicht. Die beiden großen Standbeine – Gasexporte und Luftverkehr – sichern dem Land verlässliche Einnahmen. Damit hat das Emirat beste Voraussetzungen, auch in den kommenden Jahren seine Wirtschaftskraft zu halten und weiter auszubauen, solange geopolitische Risiken nicht Überhand nehmen.
Papierziele statt Klimapolitik – Katars globale Verantwortungslosigkeit
Die Klimakrise macht auch vor der Golfregion nicht halt. Staaten wie Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain oder Kuwait spüren die Folgen der Erderwärmung besonders deutlich. Extreme Sommer mit Temperaturen über 50 Grad Celsius treten hier inzwischen regelmäßig auf. Diese Hitze gefährdet nicht nur die Gesundheit der Menschen, sondern auch die Infrastruktur. Asphaltstraßen verformen sich, Klimaanlagen laufen im Dauerbetrieb und treiben den Stromverbrauch nach oben.
Hinzu kommt die Wasserknappheit. Die Länder am Golf besitzen kaum natürliche Süßwasservorkommen und sind deshalb fast vollständig auf Meerwasserentsalzung angewiesen. Diese Anlagen verschlingen enorme Mengen Energie und belasten das Meer mit salzhaltigen Rückständen. Die Versorgung mit Wasser und Nahrung ist damit die vielleicht größte Verwundbarkeit des Landes. Fast die gesamte Trinkwasserversorgung läuft über Entsalzungsanlagen, während riesige unterirdische Reservoirs als strategische Reserve dienen. Trotz ehrgeiziger Gewächshausprojekte deckt Katar nur wenige Prozent des eigenen Bedarfs an Obst und Gemüse. Grundnahrungsmittel und Viehfutter werden nahezu vollständig importiert.
In Krisen könnte das Land zwar auf Vorräte zurückgreifen, doch jede längere Unterbrechung der Lieferketten würde die Bevölkerung rasch treffen und macht Katar strukturell anfällig. Schon jetzt zählt Katar zu den Staaten mit dem höchsten CO₂-Ausstoß pro Kopf weltweit. Das macht die Frage nach der Verantwortung unübersehbar: Ein Land, das seinen Reichtum aus fossilen Energien bezieht, ist gleichzeitig eines der am stärksten vom Klimawandel betroffenen.
Um dem etwas entgegenzusetzen, hat sich Katar in den letzten Jahren ambitionierte Ziele gesetzt – zumindest auf dem Papier. 2021 legte die Regierung erstmals einen nationalen Klimaplan vor, in dem sie versprach, die Emissionen bis 2030 um ein Viertel gegenüber dem Trend zu senken. Katar hat außerdem das Pariser Klimaabkommen ratifiziert und verpflichtet sich damit offiziell, zur Begrenzung der globalen Erwärmung beizutragen. Doch der Weg dorthin ist widersprüchlich. Auf der einen Seite baut das Land seine Produktion von Flüssiggas (LNG) massiv aus. Neue Projekte im North Field East und im North Field South werden die Exportkapazitäten bis 2027 fast verdoppeln. Auf der anderen Seite investiert Katar in Projekte zur Kohlenstoffabscheidung (CCS), mit denen ein Teil der Emissionen aus der Gasproduktion wieder eingefangen werden soll. Kritiker wie Amnesty International oder Human Rights Watch verweisen darauf, dass dies eher ein technischer Feigenblatt-Ansatz sei: Das Wachstum der fossilen Energien werde dadurch nicht gebremst, sondern sogar noch beschleunigt.

Ein Blick auf den Strommix zeigt die Dimension des Problems. Noch immer stammen über 95 Prozent der Elektrizität aus Gas- und Ölkraftwerken. Erneuerbare Energien spielen eine Nebenrolle. Zwar wurde 2022 mit Al Kharsaah eine große Solaranlage eröffnet, die mehr als 10 Prozent des nationalen Strombedarfs decken könnte, doch im internationalen Vergleich ist das wenig. Weitere Solarfarmen sind geplant, doch sie stehen in keinem Verhältnis zur Größe des fossilen Sektors. Katar verweist gerne darauf, dass Solarprojekte in der Pipeline sind, aber bisher ist die Abhängigkeit vom Gas erdrückend.
Auch im Bereich Elektrifizierung gibt es Fortschritte, wenn auch in kleinen Schritten. Öffentliche Busflotten in Doha werden zunehmend auf Elektrofahrzeuge umgestellt. Neue Metro- und Tramlinien sind im Einsatz, um den Verkehr nachhaltiger zu gestalten. Doch private Autos dominieren weiterhin das Stadtbild, und E-Mobilität steckt erst in den Anfängen. Importzölle auf Elektroautos wurden zwar gesenkt, doch der Marktanteil bleibt verschwindend gering. Die Gründe sind hohe Preise, begrenzte Ladeinfrastruktur und das Fehlen staatlicher Kaufanreize.
Verkehr und Logistik spielen auch im internationalen Kontext eine Rolle. Qatar Airways kündigt an, ihre Flotte energieeffizienter zu machen und mit neuen Flugzeugtypen wie dem Airbus A350 den Kerosinverbrauch zu senken. Gleichzeitig wächst die Zahl der Flüge, und damit steigen die Gesamtemissionen. Ähnlich verhält es sich mit den Häfen und der Frachtschifffahrt: Katar investiert in moderne Anlagen, setzt auf effizientere Schiffe, doch die Expansion des Gasexports lässt die Gesamtbilanz immer weiter anwachsen.
Ein besonderes Spannungsfeld bildet Katars Rolle in der OPEC+, der Organisation erdölexportierender Länder und ihrer Partner. Katar war 2019 offiziell ausgetreten, um sich auf Gas zu konzentrieren. Doch faktisch bleibt es Teil der globalen fossilen Energielogik. Während Nachbarländer wie Saudi-Arabien auf Ölförderquoten achten, richtet Katar seine Strategie auf maximale Ausweitung des Gasexports. Für die Weltklimapolitik bedeutet das, dass ein wohlhabendes Land mit enormen Finanzmitteln den Wandel zwar rhetorisch unterstützt, praktisch aber fossile Abhängigkeiten weiter zementiert.
Stellt man diese Politik den Auswirkungen des Klimawandels im eigenen Land gegenüber, wirkt das wie ein Widerspruch. Katar muss jedes Jahr mehr Geld in die Kühlung von Städten investieren, Arbeitszeiten im Freien einschränken, um Arbeiter vor Hitzschlägen zu schützen, und Milliarden in die Sicherung der Trinkwasserversorgung stecken. All das zeigt, wie verletzlich das Land ist. Und doch fließen die größten Investitionen nicht in den Ausbau erneuerbarer Energien, sondern in die Verlängerung des fossilen Geschäftsmodells.

Gerade deshalb fällt das Fazit vernichtend aus. Katar ist ein Land, das zu den reichsten der Welt gehört und zugleich zu den größten Pro-Kopf-Emittenten. Es schützt sich mit Milliardenprojekten gegen die Hitze, gegen den steigenden Energiebedarf und gegen die Wasserknappheit, während es gleichzeitig seine Gasproduktion auf ein historisches Rekordniveau treibt und so den Klimawandel weiter anheizt. Die Widersprüche sind so eindeutig, dass jede Rede von einer Klimapolitik zur Irreführung wird. Katar erfüllt internationale Abkommen nur auf dem Papier, während es in der Realität fossile Abhängigkeiten ausbaut. Für die Weltgemeinschaft bedeutet das ein doppelter Schaden: Einerseits wird ein Vorreiter für erneuerbare Energien blockiert, obwohl die Mittel dafür vorhanden wären. Andererseits setzt Katar mit seiner Politik ein Signal in die Region, dass Wohlstand auch weiterhin auf Kosten des globalen Klimas gesichert werden darf. Damit wird das Land zu einem Hindernis für die Energiewende und zu einem zentralen Akteur, der den internationalen Kampf gegen die Erderwärmung messbar schwächt.
Menschenrechte, Arbeits- und Lebensrealität in Katar – eine Bestandsaufnahme
Hinter den glänzenden Fassaden von Doha verbirgt sich eine Realität, die tief von sozialen Ungleichheiten, eingeschränkter Bewegungsfreiheit und umfassender Kontrolle geprägt ist. Der Reichtum des Landes steht im scharfen Kontrast zur Lage von Millionen Arbeitsmigranten, zu begrenzten Freiheitsrechten und zu einer Überwachung, die jeden Lebensbereich durchdringt.
Seit 2021 gilt ein landesweiter, nicht nach Nationalität unterschiedener Mindestlohn. In einfachen Tätigkeiten verdienen viele Migrantinnen und Migranten rund 495 USD (≈ 1800 QAR) monatlich. Im Gegensatz dazu liegen die Gehälter von Staatsbediensteten oft zwischen 3 300 USD und 4 100 USD (≈ 12 000–15 000 QAR). Dem gegenüber stehen geschätzte monatliche Lebenshaltungskosten von mindestens 980–1 100 USD (≈ 3 800–4 000 QAR) für eine Einzelperson in Doha. Die Kluft ist massiv – die finanzielle Deckung selbst des Grundbedarfs für viele fraglich. These Angaben basieren auf Branchen- und Kostenreports sowie Bestätigungen lokaler AMEPRES-Kollegen vor Ort.

Wie das Überleben trotz dieser Lücke funktioniert, entscheidet sich oft in den Unterkünften. Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, Wohnraum oder entsprechende Zulagen zu gewährleisten; viele Firmen stellen große Sammelunterkünfte am Stadtrand mit Mehrbettzimmern, Kantinen und Werkbussen zur Verfügung. Offizielle Wohnstandards existieren (Mindestfläche, sanitäre Einrichtungen, Lüftung), doch berichten Arbeiter wiederholt von überfüllten Räumen, mangelhafter Hygiene, fehlender Privatsphäre und Lärm. Inspektionen finden statt, aber ihre Effektivität variiert stark zwischen Firmen. Das elektronische Lohnschutzsystem (Wage Protection System) erhöht Transparenz, und der Workers’ Support and Insurance Fund kann in Einzelfällen eingreifen. Dennoch bleibt oft nur minimaler finanzieller Spielraum, und viele Migranten überwinden die Differenz durch reduzierte Ausgaben, gemeinschaftliche Nutzung und Rezession des eigenen Alltags.
Das frühere Kafala-System, das Beschäftigte eng an Arbeitgeber band, ist formal abgeschafft. Ein Arbeitsplatzwechsel ist theoretisch ohne Zustimmung möglich, Ausreisegenehmigungen wurden weitgehend gestrichen, und Löhne sollen über ein digitales System fließen. Trotzdem dokumentieren Menschenrechtsorganisationen weiterhin Fälle von verspäteten Zahlungen, einbehaltenen Pässen, Druck bei Arbeitgeberwechseln und hohen Anwerbegebühren, die Beschäftigte stark belasten. Für Arbeit im Freien gelten Hitzeschutzregeln, aber ihre praktische Umsetzung variiert oft von Baustelle zu Baustelle.
Ein weiterer zentraler Aspekt ist die allgegenwärtige Überwachung. In Städten wie Doha dominieren Kamera-Systeme und digitale Kontrollnetze das öffentliche Leben. Behörden setzen Gesichtserkennung, Bewegungs- und Kommunikationsanalyse sowie Monitoring von Social-Media ein. In den firmeneigenen Arbeiterunterkünften („labour camps“) – d. h. große Wohnkomplexe mit Mehrbettzimmern, Kantinen und Zugangskontrollen – führen Sicherheitsdienste regelmäßige Kontrollen durch. Gespräche mit externen Akteuren wie Journalistinnen oder Aktivistinnen können dort Folgen haben. Die Kombination von gesetzlicher Kontrolle und privater Überwachung erzeugt ein Klima, in dem Selbstzensur weit verbreitet ist – auch außerhalb privater Räume.
Die Pressefreiheit steht unter strengen Einschränkungen: Verleumdung und Beleidigung sind strafbar, ebenso das Verbreiten „falscher Nachrichten“ oder Störung öffentlicher Ordnung online. Kritische Berichterstattung über Politik, Sicherheitsorgane oder Religion kann juristisch verfolgt werden, weshalb Medien häufig vorsichtig agieren oder auf Selbstzensur setzen.
Frauen haben in den letzten Jahren Fortschritte gemacht. Frauenrechte sind sichtbarer geworden: Sie studieren, arbeiten, fahren Auto und bekleiden Führungspositionen im öffentlichen Sektor. Rechtliche Beschränkungen bestehen weiterhin, vor allem in Familien-, Erb- und Sorgerechtsfragen. Die Staatsbürgerschaft wird zumeist über den Vater weitergegeben. Die sogenannte „gläserne Decke“ zeigt sich in strukturellen Hürden – etwa in Netzwerken, kulturellen Vorurteilen und Branchenbeschränkungen – die Frauen den Zugang zu Spitzenrollen im privaten Sektor erschweren.

Religionsfreiheit ist limitiert: Nichtmuslimische Gemeinden dürfen unter Auflagen Gottesdienste ausüben, Missionierung ist verboten und Blasphemie strafbar. Besonders deutlich zeigt sich diese Begrenzung im Umgang mit Glaubensgemeinschaften, die außerhalb des sunnitischen Mainstreams stehen: Die Baha’i-Gemeinde in Katar ist klein, aber seit Jahrzehnten Ziel von Misstrauen und Restriktionen. Die Baha’i-Religion entstand im 19. Jahrhundert in Persien (dem heutigen Iran) und versteht sich als unabhängige Weltreligion, die Einheit aller Menschen und Gleichberechtigung betont. Gerade deshalb wird sie von islamischen Autoritäten in vielen Ländern als Häresie betrachtet, da sie nach dem Propheten Mohammed weitere Offenbarungen anerkennt.
In Staaten mit stark konservativer Prägung – darunter Katar – gilt die Gemeinschaft deshalb als „abweichend“ vom Islam und wird rechtlich wie gesellschaftlich marginalisiert. Diese ablehnende Haltung hat historische Wurzeln: Schon im Iran wurde die Baha’i-Gemeinschaft systematisch verfolgt, und dieses Stigma übertrug sich in viele andere Staaten der Region. In Katar äußert sich das in subtiler, aber zunehmender Unterdrückung – etwa durch Beschränkungen bei Jobs, Visaverlängerungen und Aufenthaltsrechten. Der Fall des Baha’i-Vorsitzenden Remy Rowhani, der im August 2025 in Doha wegen angeblich religionskritischer Äußerungen zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde, verdeutlicht, wie sehr diese Minderheit weiterhin unter Druck steht. Internationale Beobachter wie UN-Experten und Human Rights Watch sprechen von einem systematischen Muster religiöser Diskriminierung, das auf tief verwurzelten Vorurteilen basiert und die Baha’i in Katar zu einer der am stärksten gefährdeten religiösen Minderheiten macht.
Für LGBTQ-Personen sind gleichgeschlechtliche Beziehungen illegal, Schutz vor Diskriminierung fehlt, und politisch organisierte LGBTQ-Strukturen sind nicht erlaubt.
Zur Todesstrafe herrscht eine Art stilles Moratorium. Die letzte dokumentierte Hinrichtung in Katar fand im Mai 2020 statt (ein nepalesischer Migrant wegen Mordes). Seitdem liegen keine verlässlichen Berichte über neue Vollstreckungen vor. Todesurteile werden weiterhin verhängt, insbesondere bei Kapitaldelikten, aber ihre Umsetzung in den letzten Jahren ist nicht belegt.
Die Realität im Land lässt sich nicht beschönigen: Katar inszeniert sich als modern und reformorientiert, doch im Inneren bleiben bedeutende Menschenrechtsmängel. Arbeitsmigranten sind weiterhin verletzlich gegenüber Machtungleichgewichten, Unterbringungsstandards werden oft nicht eingehalten, Meinungs- und Pressefreiheit sind durch Gesetze und Überwachung eingeschränkt, und zentrale Forderungen zur Aufarbeitung – etwa in Bezug auf die WM 2022 – sind ungeklärt. Frauen, Minderheiten und Migranten stehen rechtlich und gesellschaftlich vor engen Grenzen. In der Summe zeigt sich ein Staat, der seinen Reichtum nutzt, um Kontrolle auszubauen – oft auf Kosten derjenigen, die seine Infrastruktur am Laufen halten.
Katar im Außen – Zwischen Vermittlung und Machtpolitik
Katars Rolle in der Welt wirkt auf den ersten Blick widersprüchlich. Einerseits präsentiert sich das kleine, wohlhabende Emirat als moderner Staat, der in internationalen Organisationen auftritt und bei Krisen immer wieder als Vermittler eingeschaltet wird. Andererseits verfolgt es eine knallharte Eigeninteressenpolitik, die kaum Rücksicht auf moralische Maßstäbe nimmt. Ein Beispiel dafür ist die Haltung im Israel-Gaza-Krieg: Katar beherbergt seit Jahren das politische Büro der Hamas in Doha und gilt als einer der wichtigsten Geldgeber für den Gazastreifen. Gleichzeitig hält es enge Beziehungen zu den USA, die ihre größte Militärbasis im Nahen Osten, den Stützpunkt Al-Udeid, in Katar unterhalten. Dieses Nebeneinander von Unterstützung einer militanten Organisation und enger Partnerschaft mit Washington macht deutlich, wie stark Doha seine Außenpolitik als Balanceakt betreibt.
Man setzt stark auf Soft Power, um seinen Einfluss weit über seine Größe hinaus auszudehnen. Der Sender Al Jazeera prägt bis heute die mediale Wahrnehmung der Region, während die Qatar Foundation mit ihrem Campus „Education City“ internationale Universitäten ins Land geholt hat. Auch im Sport hat sich Katar mit der Fußball-Weltmeisterschaft 2022, den anstehenden Asienspielen 2030 und der Übernahme des Pariser Spitzenklubs PSG ins kollektive Gedächtnis vieler Nationen eingeschrieben. Diese globale Strahlkraft steht im scharfen Kontrast zur eingeschränkten Pressefreiheit und der engen Kontrolle im eigenen Land – ein Spannungsfeld, das im Außen zunehmend kritisch betrachtet wird.
In der Region verfolgt Katar eine eigenständige Linie. Es pflegt diplomatische Kontakte nach Iran, um Lieferwege offen zu halten, und beteiligt sich zugleich an regionalen Sicherheitsdialogen mit den Golfstaaten. In Bezug auf den Jemen-Konflikt tritt Katar weniger aggressiv auf als seine Nachbarn, auch wenn es die Allianz gegen die Huthi-Rebellen zeitweise militärisch unterstützt hat. Heute ist es hier vor allem als Geldgeber präsent, der humanitäre Hilfe wie auch politische Gespräche finanziert, ohne sich zu stark auf eine Seite festzulegen.
Die Sicherheitsarchitektur Katars stützt sich weniger auf eigene Streitkräfte als auf internationale Bündnisse. Das Herzstück bildet der Stützpunkt Al-Udeid, die größte US-Basis im Nahen Osten, die nach dem Angriff auf Doha noch einmal sichtbar aufgerüstet wurde. Rund 10.000 US-Soldaten sind dort stationiert, ergänzt durch modernisierte Luftabwehrsysteme und Cyberabwehr-Einheiten. Auch die Türkei hält eine kleine, aber symbolträchtige Truppe im Land. Katar selbst investiert in modernste Abwehrtechnik, bleibt aber in hohem Maße abhängig von Partnern, was die eigene Souveränität in Krisen zugleich absichert und begrenzt.

International präsentiert sich Katar als Player, der weit über seine geografische Größe hinaus Einfluss nimmt. Mit seinen gigantischen Energieexporten, insbesondere Flüssigerdgas (LNG), hat das Emirat Hebel in der Hand, die es geschickt einsetzt. Europäische Staaten, allen voran Deutschland, Frankreich und Italien, haben ihre Energieimporte seit dem russischen Krieg gegen die Ukraine verstärkt auf Katar ausgerichtet. Gleichzeitig baut Doha enge Beziehungen nach China und Indien auf, die langfristig als Abnehmermärkte von Gas dienen sollen. Russland wird nicht offen unterstützt, aber Katar vermeidet auch eine klare Distanzierung. Es positioniert sich lieber als neutraler Marktakteur, um in allen Lagern handlungsfähig zu bleiben.
Diese Vielgleisigkeit zeigt sich auch im internationalen Konfliktmanagement. Katar war in den vergangenen Jahren wiederholt Vermittler, sei es bei Gesprächen zwischen den USA und den Taliban oder bei Gefangenenaustauschen zwischen Russland und der Ukraine. Auch bei Geiselverhandlungen im Nahostkonflikt trat Doha auf. Die Fähigkeit, gleichzeitig mit islamistischen Gruppen, westlichen Regierungen und autoritären Staaten zu sprechen, verschafft dem Land eine diplomatische Sonderstellung. Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani betonte einmal: „Wir reden mit allen, weil wir uns keine Feinde leisten können.“ Dieser Satz bringt die außenpolitische Grundhaltung Katars auf den Punkt.
Doch diese Haltung hat ihren Preis. Viele Beobachter kritisieren, dass Doha kaum moralische Leitlinien verfolgt, sondern pragmatisch jede Tür offenhält. Genau dadurch sichert es sich aber politischen Einfluss und wirtschaftliche Stabilität. Im Unterschied zu den VAE, die sich zunehmend als berechenbarer, pro-westlicher Partner darstellen, bleibt Katar unberechenbarer, unabhängiger und dadurch für viele Akteure interessanter. Das Emirat verfolgt keine klassische Blockpolitik, sondern praktiziert eine Strategie der permanenten Anschlussfähigkeit. Das bedeutet: Katar ist jederzeit gesprächsbereit, auch wenn es dafür mit Kräften kooperiert, die andere Staaten als Terrororganisationen einstufen.
So entsteht das Bild eines Landes, das zwar klein ist, aber im globalen Spiel der Interessen weit über seine Grenzen hinaus Gewicht hat. Es setzt auf Pragmatismus statt Prinzipien, auf Flexibilität statt Verbindlichkeit. Katar ist nicht so angepasst und kalkulierbar wie die Vereinigten Arabischen Emirate, sondern geht bewusst Risiken ein, um als unverzichtbarer Akteur wahrgenommen zu werden. Moralische Maßstäbe spielen dabei nur eine nachgeordnete Rolle. Das sichert dem Emirat Einfluss, hinterlässt aber auch den Eindruck eines Staates, der seine Außenpolitik in erster Linie als Mittel zum Selbsterhalt und zur Machtausweitung versteht.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Katars Blick auf die kommenden 365 Tage
Katar geht mit einer außergewöhnlich stabilen Ausgangslage in die kommenden zwölf Monate. Das Land verfügt über die drittgrößten bekannten Gasreserven weltweit, gesicherte Exportverträge auf Jahrzehnte hinaus und eine engmaschige Sicherheitsarchitektur mit internationalen Partnern. Es gibt weder innere Unruhen noch ernsthafte äußere Bedrohungen. Die Einnahmen aus dem Flüssiggas sichern den Reichtum und verschaffen dem Staat außenpolitischen Spielraum. Gerade diese Stabilität macht deutlich, welche Themen in Wahrheit ungelöst bleiben.
Die erste große Herausforderung ist der Klimawandel. Katar ist der führende Emittent von Treibhausgasen pro Kopf, und trotzdem fließen die Investitionen weiterhin fast ausschließlich in die Ausweitung der Gasförderung. Projekte zur Abscheidung von CO₂ und kleine Ansätze bei erneuerbaren Energien sind im Vergleich zu den Milliardensummen für neue LNG-Anlagen kaum relevant. Das Land könnte sich leisten, ein globales Vorzeigemodell für Klimaneutralität zu werden. Stattdessen zeigt sich die Politik beharrlich im Festhalten an fossilen Einnahmen. Für die kommenden zwölf Monate gilt: Ein grundlegender Kurswechsel ist so unwahrscheinlich, wie ein anfliegendes UFO, dass auf dem Brandenburger Tor landet.
Die zweite offene Frage betrifft die Wertebasis des Staates. Katar tritt international gerne als Vermittler auf, zwischen Israel und Hamas, zwischen Taliban und westlichen Regierungen. Doch im Inneren gelten enge Grenzen für Meinungsfreiheit und gesellschaftliche Teilhabe. Arbeitsmigranten sichern den Wohlstand, bleiben aber Bürger zweiter Klasse. Frauen haben Fortschritte erzielt, stoßen aber nach wie vor an klare Grenzen. Soll das Land langfristig als glaubwürdig wahrgenommen werden, müsste es seine Politik stärker an universellen Werten ausrichten. Auch hier gilt: Die ökonomische Stärke würde es ermöglichen, Reformen umzusetzen. Doch die Realität spricht dafür, dass Kontinuität wichtiger bleibt als Öffnung.

Salma hatte ihre Enkelin noch vor einer Stunde zur Schule verabschiedet. Jetzt sitzt sie allein in der Küche, die Stille wirkt lauter als die Nachrichten im Radio, die weiter von steigenden Gasexporten, neuen Milliardenprojekten und den diplomatischen Rollen Katars berichten. Sie streicht mit der Hand über die leere Tischplatte und denkt an das Mädchen, das jeden Morgen unbeschwert losläuft, in ein Land hinein, das sich stärker zeigt, als es im Inneren ist. Katar könnte Vorbild sein, für Klimaschutz, für Werte, für eine Gesellschaft, die mehr ist als Wohlstand. Doch solange Reichtum und Macht über allem stehen, bleibt die Hoffnung auf Veränderung nur ein Gedanke – einer, den Salma in sich trägt, während draußen schon wieder die Stadt erwacht, unbeeindruckt von dem, was versäumt wird.
Salma stellt die Tassen in die Spüle, wischt den Tisch ab und bleibt am Fenster stehen. Draußen sieht sie, wie sich über den Dächern von Doha ein flackerndes Licht zeigt. Es ist die Fackel der Raffinerie am Stadtrand, die selbst am Vormittag in den Himmel brennt. Früher hat sie diese Flammen kaum beachtet, jetzt fällt ihr auf, dass sie häufiger und heller lodern. Der Rauch hängt wie ein grauer Schleier über der Ferne. Sie denkt daran, wie die Sommer heißer geworden sind, wie die Klimaanlage in ihrer Wohnung inzwischen schon im Frühling läuft und wie schwer es geworden ist, einfach die Fenster zu öffnen, um frische Luft hereinzulassen.
In letzter Zeit hört sie immer wieder Gespräche über den Klimawandel. Bekannte reden von steigenden Temperaturen, von Autos, die plötzlich elektrisch fahren sollen, weil das besser für die Umwelt ist. Bisher war das für sie nur ein fernes Thema, etwas, das vielleicht die Gletscher am Ende der Welt betrifft, aber nicht ihren Alltag. Jetzt, in diesem Moment, versteht sie, dass es längst bei ihr angekommen ist. Sie denkt an ihre Enkelin, die in wenigen Stunden wieder aus der Schule zurückkommt, und fragt sich, wie deren Leben aussehen wird, wenn die Sommer immer länger und heißer werden. Ob die Stadt eines Tages nicht mehr auszuhalten ist, wenn schon heute die Nächte kaum noch Abkühlung bringen und die Hitze selbst im Dunkeln bleibt.
Ihr Blick bleibt an der Fackel hängen. Das Feuer brennt unbeirrt, der Rauch zieht langsam über die Häuser. Salma sieht es an und denkt nur, dass es so nicht immer weitergehen kann. Wie es anders werden soll, weiß sie nicht. Aber sie spürt, dass etwas nicht stimmt, und dass es ihre Enkelin sein wird, die eines Tages mit den Folgen leben muss – Folgen, die vielleicht tiefer in ihr Leben greifen werden als die Nacht, in der die Rakete in ihrer Nachbarschaft einschlug.
Quellenliste mit Links
1. Ein Blick auf Katars gegenwärtige Lage
- UN Security Council Statements (September 2025) – UN Meetings Coverage (un.org)
- Internationale Berichterstattung zum Angriff auf Doha (Jerusalem Post, Al Jazeera, Reuters)
- IMF Country Report Qatar 2025 – IMF.org
- Qatar Planning and Statistics Authority (PSA) – Monatsberichte 2025 – psa.gov.qa
2. Staatsform, Herrscher und Entscheidungswege
- Verfassung von Katar (2004, konsolidierte Fassung) – almeezan.qa
- Government Communications Office (GCO) – Struktur Emirat & Ministerrat – gco.gov.qa
- Shura Council – Official Portal – shura.qa
3. Katar von innen – Gesellschaft, Recht und Alltag
- PSA Demographic Report 2025 – psa.gov.qa
- Amnesty International Report 2024/25 – amnesty.org
- Human Rights Watch Qatar Report 2025 – hrw.org
- Education City – Qatar Foundation – qf.org.qa
- World Bank Data on Migration and Nationals – worldbank.org
4. Wirtschaft – Zahlen, Treiber, Finanzplätze
- IMF World Economic Outlook September 2025 – imf.org
- World Bank Country Overview Qatar – worldbank.org
- Qatar Central Bank – Annual Report 2024 – qcb.gov.qa
- Qatar Stock Exchange – Marktstatistiken – qse.qa
- Qatar Investment Authority – Factsheet 2025 – qia.qa
- Qatar Airways Geschäftsbericht 2024/25 – qatarairways.com
5. Papierziele statt Klimapolitik – Katars globale Verantwortungslosigkeit
- Qatar National Climate Change Action Plan (QNCCAP 2021–2030) – mme.gov.qa
- Paris Agreement (UNFCCC, Ratifikation durch Katar) – unfccc.int
- IEA (International Energy Agency) – Qatar Energy Review 2024 – iea.org
- BP Statistical Review 2025 (Energie) – bp.com
- Amnesty International Kritik an CCS und LNG – amnesty.org
- Human Rights Watch Gulf Climate Policies – hrw.org
6. Menschenrechte, Arbeits- und Lebensrealität in Katar
- ILO (International Labour Organization) – Labour Reform in Qatar Reports 2023–2025 – ilo.org
- Amnesty International – Qatar: Migrant Workers Post-WC 2022 – amnesty.org
- Human Rights Watch – Qatar Workers’ Rights 2024/25 – hrw.org
- Wage Protection System – Ministry of Labour Qatar – mol.gov.qa
- Marhaba Qatar – Population & Expat Data 2024 – marhaba.qa
- Global Media Insight – Qatar Population Statistics 2025 – globalmediainsight.com
- Death Penalty Worldwide Database (zu Todesurteilen) – deathpenaltyworldwide.org
7. Katar im Außen – Zwischen Vermittlung und Machtpolitik
- US Department of Defense – Al-Udeid Air Base Info – defense.gov
- Al Jazeera – Berichte zu Katars Außenpolitik – aljazeera.com
- Reuters, Associated Press – Coverage zu Katar und Gaza – reuters.com
- Foreign Policy / Carnegie Middle East – Analysen Katar-Iran-Saudi – carnegie-mec.org
- Qatar Ministry of Foreign Affairs – Offizielle Statements – mofa.gov.qa
8. Zusätzliche Absätze (Fußball, Bildung, Infrastruktur, Soft Power)
- FIFA / Amnesty International – Nachberichte FIFA WM 2022 – fifa.com, amnesty.org
- Education City – Qatar Foundation – qf.org.qa
- Hamad Port / Qatar Free Zones Authority – fza.gov.qa
9. Ausblick und Abschlussgeschichte
- Grundlage: Alle oben genannten Quellen + Beobachtungen AMEPRES-Korrespondenten (Doha 2025)

