Iran im September 2025: Staatliche Kontrolle, Inflation und regionaler Machtanspruch
Lizenzartikel von Jürgen Dirrigl – Titelbild und alle nicht gekennzeichneten Bilder im Artikel : AMEPRES
Noch bevor die Sonne im Smog auftaucht, gehen in Teheran die Klimaanlagen an. In Ahvaz stehen Tankwagen vor Wasserstellen. Menschen warten, weil sinkende Grundwasserspiegel und überlastete Pumpwerke die Versorgung zeitweise lahmlegen. Ein Sommer der Hitze und der Knappheit hat die Routinen verschoben. Behörden schlossen tageweise, um Strom zu sparen. In neun Provinzen warnte der Wetterdienst vor Temperaturen um 50 Grad. Der Gouverneur von Teheran ordnete die Schließung der Ämter an, „um den Energieverbrauch zu optimieren und zu steuern“. In den Wohnungen blieb dennoch oft das Licht aus. In den Läden wurden Eisblöcke wieder ein Alltagsprodukt.
Allgemeines Lagebild
In Teheran ist das Wasser inzwischen Thema Nummer eins: Kommunen drosseln die Versorgung, Behörden warnen vor Engpässen bis hin zu „Tag Null“– Szenarien. Die Regierung selbst spricht von einer akuten Wasserkrise; Hitzewellen zwangen im August zeitweise zur Schließung von Behörden und Banken. Hinter der Knappheit stehen Dürre, Übernutzung von Grundwasser, ein überdimensionierter Agrarsektor und jahrzehntelange Fehlsteuerungen. Dämme und Seen – allen voran der einst riesige Urmia-See – sind dramatisch geschrumpft. Stromausfälle in Hitzeperioden sind häufig.

Die Wirtschaft steht unter Druck wie selten: Der Rial fiel heute auf ein Rekordtief von rund 1.074.000 Rial pro US-Dollar. Die Inflation liegt – je nach Messung – um die 42–43 %. Für die Bevölkerung heißt das: Einkommen entwerten sich, Ersparnisse flüchten in Dollar und Gold, viele Preise ändern sich im Wochentakt.
Politisch bleibt Iran ein System mit doppelter Macht: Gewählte Organe (Präsident Masoud Pezeshkian seit 2024) stehen einem Machtkern um den Obersten Führer Ali Khamenei und die Revolutionsgarden (IRGC) gegenüber. Außen-, Sicherheits- und Nuklearpolitik werden letztlich vom Führungszirkel entschieden; die IRGC-Quds-Force setzt diese Politik in der Region um. Pezeshkian kann Akzente setzen – die strategische Linie bestimmt er nicht.
Auf der Menschenrechtslage liegt ein langer Schatten: Nach den Frauen-, Leben-, Freiheit-Protesten 2022 wurden Strafen und Kontrollen rund um den Zwangs-Hijab verschärft; Lehrkräfte und Aktivist:innen geraten erneut unter Druck, Journalist:innen sitzen im Gefängnis. Hinrichtungen sind hoch – die UN zählten 2024 über 900 Exekutionen; Anfang September 2025 wurde erneut ein Mann im Zusammenhang mit den 2022-Unruhen hingerichtet. Im weltweiten RSF-Ranking liegt Iran 2025 auf Platz 176 von 180.
Der Atomstreit ist wieder eskaliert – und prägt die Außenbeziehungen wie die Ökonomie: Nach israelischen und US-Angriffen auf iranische Nuklearanlagen im Juni blieb Irans hochangereicherter Uran-Bestand groß genug, um – bei weiterer Anreicherung – mehrere Bomben zu ermöglichen, so die IAEA-Maßstäbe. Teheran und die IAEA kündigten zwar jüngst einen Neustart von Inspektionen an; zugleich läuft der europäische Snapback-Prozess an, der die Wiedereinsetzung von UN-Sanktionen ab 27. September auslösen könnte. Präsident Pezeshkian versicherte heute vor der UN, Iran strebe keine Atomwaffen an. Parallel vertieft Teheran die zivile Nuklearkooperation mit Russland (kleine AKWs). All das hält die Märkte nervös – und den Rial unter Druck.
Aber der Reihe nach…
Iran nach außen: Wo Teheran steht, was es will – und wie es seine Ziele durchsetzt
Iran versteht sich als Regionalmacht, die ohne westliche Vormünder auskommt und die eigene Sicherheit jenseits der eigenen Grenzen verteidigt – eine Linie, die Militärs als „Forward Defense“ beschreiben: Bedrohungen sollen weit weg vom iranischen Territorium gebunden werden. Dafür setzt Teheran auf drei Pfeiler: Verbündete, Raketen- und Drohnenmacht sowie maritime Hebel. International sucht Iran Rückhalt in China und Russland, ist seit 2024 Mitglied der BRICS und verkauft den Großteil seines Öls trotz Sanktionen nach China. Diese Einnahmen sichern innen wie außen Handlungsspielräume.
Infobox: BRICS-Staaten)
- Mitglieder: Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika, Ägypten, Äthiopien, Iran, Vereinigte Arabische Emirate, Indonesien.
- Eingeladen, noch nicht formell beigetreten: Saudi-Arabien (Einladung 2023, Status weiterhin in Prüfung).
- Was ist BRICS? Ein lockerer Zusammenschluss großer Schwellenländer; jährlich rotierende Präsidentschaft, Konsensentscheidungen, keine feste Zentralbehörde. Ziele: mehr Gewicht des Globalen Südens, Handels- und Finanzkooperation (u. a. New Development Bank), Reform globaler Institutionen.
- Kurzgeschichte: 2009 als BRIC gegründet (Südafrika seit 2010 dabei); Erweiterung 2024 (Ägypten, Äthiopien, Iran, VAE) und 2025 (Indonesien). Argentinien lehnte den Beitritt Ende 2023 ab.
Was Iran langfristig will
Das strategische Ziel ist Regimestabilität und Abschreckung: Israel soll militärisch gebunden, die US-Präsenz in der Region unattraktiv gemacht und Handelswege als Druckmittel nutzbar sein. Ideologisch rahmt Teheran das als „Widerstand“ gegen Israel und westliche Dominanz; praktisch ist es Risikosteuerung: Iran will Gegner beschäftigen, ohne selbst in einen großen, verlustreichen Krieg zu geraten.
Wie Iran das umsetzt: ein Werkzeugkasten statt klassischer Allianzen
Statt formeller Bündnisse nutzt Teheran ein Netzwerk bewaffneter Partner – oft Proxies genannt. Historisch entstand es in den 1980ern im Libanon (Hisbollah), erweiterte sich nach 2003 im Irak (schiitische Milizen) und vertiefte sich ab 2011 in Syrien. Seit den 2010ern rückt der Jemen hinzu (Huthis). Das Muster: Ausbildung, Geld, Waffen, Beratung – meist über die Quds-Einheit der Revolutionsgarden. Dieses Geflecht von Proxies spannt heute Druckachsen von der libanesisch-israelischen Grenze bis zum Roten Meer.
Israel–Gaza–Libanon–Syrien: die Nord-Süd-Zange
Seit dem Gaza-Krieg 2023 hält Iran Druck auf mehreren Fronten: Im Libanon bindet die Hisbollah israelische Kräfte entlang der Nordgrenze; in Syrien halten iranische Proxies Nachschub- und Einflusskorridore offen, die Israel regelmäßig mit Luftschlägen angreift. 2024 wagte Teheran zudem erstmals einen direkten Drohnen- und Raketenangriff auf Israel – als Vergeltung für den Angriff auf eine iranische Anlage in Damaskus.

Zwölf Tage im Juni 2025 veränderten dann die strategische Landkarte: Auslöser war die Sorge in Jerusalem, Washington und Teilen Europas, dass Irans fortgeschrittene Uran-Anreicherung die sogenannte „Breakout“-Zeit stark verkürzt – also die Zeit, die Iran benötigen würde, um genug waffenfähiges Uran (HEU, etwa 90 % U-235) für eine Atombombe herzustellen. Wie nahe der Iran tatsächlich an der „Bombe“ war, bleibt umstritten.
Die Angriffe folgten in zwei Wellen: Zuerst griff Israel an, danach die USA. Ziel waren Anlagen und Zulieferstrukturen, die dem Atomprogramm und der Raketenproduktion zugerechnet werden – nicht nur Hallen und Testareale, sondern auch Peripherie wie Strom, Wasser, Zufahrten sowie Luftabwehr und Lager. In den Wochen darauf zeigten Satellitenbilder sichtbare Reparaturen und Neuaufbau an Standorten wie Parchin und Shahroud; Abläufe wurden heruntergefahren, Logistik umgelegt, Sicherungsmaßnahmen ausgeweitet.
Die Wirkung auf das Atomprogramm blieb begrenzt. Die technische Basis der Anreicherung (Bestände höher angereicherten Urans und wesentliche Teile der Zentrifugen-Infrastruktur) blieb im Kern erhalten. Das setzt Hürden und verteuert den Betrieb, wirft Iran aber eher um Monate zurück als um Jahre. Wie nah das Land einer tatsächlichen Waffe wäre, bleibt strittig und hängt von Materialmengen, Inspektionen und politischem Willen ab.
Deutlich größer war die Delle in der Raketenproduktion. Die Schläge trafen eine echte Engstelle: sogenannte „planetary mixers“, riesige Industrieknetmaschinen, die Festtreibstoff homogenisieren und damit das Tempo der Serienfertigung bestimmen. Diese Geräte stehen unter Embargo und sind schwer zu beschaffen. Fehlen sie oder treffen verspätet ein, stottern Produktionslinien – selbst wenn Hallen, Leitungen und Zufahrten bereits repariert sind. Aus Militärkreisen war anschließend zu hören, man priorisiere nun stärker Präzision bei Steuerung und Gefechtsköpfen, um trotz Lücken handlungsfähig zu bleiben.
Damit haben die zwölf Tage im Juni das Atomprogramm weniger dauerhaft zurückgeworfen, als vielmehr Irans Verwundbarkeit in Schlüsselteilen der Raketenindustrie offengelegt und zugleich rote Linien markiert, auf deren Verteidigung Israel und die USA bereit sind, militärisch zu reagieren. Ob daraus eine dauerhafte strategische Verschiebung entsteht, hängt nun von drei Stellschrauben ab: Tempo des Wiederaufbaus, Reichweite internationaler Inspektionen und der künftigen Sanktionspolitik.
Im größeren Zusammenhang zeigt sich am Beispiel Gaza, wie Teheran seine Politik versteht. Die Unterstützung von Proxies wie Hamas und dem Islamischen Jihad – mit Geld, politischer Rückendeckung und technologischer Hilfe – verschafft Iran einen Hebel gegen Israel. Doch der Blick auf die Realität vor Ort zeigt ein anderes Bild: Israel hat Gaza zu weiten Teilen zerstört, Schätzungen sprechen von rund 80 Prozent der Infrastruktur, die in Trümmern liegt. Die Hamas hat den Krieg militärisch verloren, auch wenn sie als politischer Akteur überlebt. Für die Menschen in Gaza bedeutete Irans Haltung nie konkrete Hilfe oder Schutz, sondern blieb Teil einer größeren Strategie – eine Agenda, die vor allem nach außen wirkt und weniger mit der Lebensrealität der Zivilbevölkerung zu tun hat. So verfolgt der Iran weiter seine Strategie der Abnutzung. Israel soll sich permanent bedroht fühlen, in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt bleiben und hohe politische wie wirtschaftliche Kosten tragen. Gaza ist in diesem Gefüge weniger ein Schauplatz eigener Stärke als vielmehr ein Symbol, das sich in ein größeres System von Proxies einfügt – mit der Hisbollah im Libanon, iranischem Einfluss in Syrien und den Huthis im Roten Meer. Diese Kombination hält den Druck auf Israel und seine Verbündeten aufrecht – und zeigt, wie Iran über Stellvertreter Politik betreibt, auch wenn die Rechnung in Gaza selbst nicht aufgegangen ist.
Schlagkraft und Grenzen: Irans Militär im Vergleich
Iran verfügt über ein Militär aus regulären Streitkräften und Revolutionsgarden, das insgesamt etwa 600.000 aktive Soldaten umfasst. Etwa 120.000 bis 130.000 gehören zu den Revolutionsgarden (IRGC – Islamic Revolutionary Guard Corps). Dies kontrollieren auch die strategischen Raketen, während eine Spezialeinheit innerhalb der IRGC für Auslandseinsätze und Partnernetzwerke zuständig ist.
Mit Militärausgaben von knapp 8 Milliarden US-Dollar liegt Iran weit hinter Israel und Saudi-Arabien. Daher setzt Teheran stark auf Eigenproduktion, Reparaturen und Umrüstungen, während größere Modernisierungsschübe selten bleiben, auch wenn das Budget zuletzt erhöht werden sollte.
Die größte Stärke liegt im Raketen- und Drohnenarsenal. Kurz- und Mittelstreckenraketen wie Fateh-110, Zolfaghar oder Shahab-3 können große Teile der Region erreichen. Ergänzt wird dies durch Einweg-Drohnen wie die Shahed-136 und bewaffnete UAVs, die Angreifern hohe Abwehrkosten verursachen und bereits in mehreren Konflikten eingesetzt wurden.
Die Luftwaffe gilt dagegen als Schwachpunkt, da viele Jets noch aus den 1970er- und 1980er-Jahren stammen und Ersatzteile knapp sind. Moderne Kampfflugzeuge fehlen, sodass Iran stärker auf Boden-Luft-Systeme, Raketenabwehr und asymmetrische Seekriegsführung setzt. Im Persischen Golf verfolgt die Marine vor allem Nadelstich- und Zermürbungsstrategien.

Im regionalen Vergleich kann Iran bei der Truppenstärke mithalten, technologisch sind Israel und Saudi-Arabien jedoch klar überlegen. Deshalb vermeidet Teheran klassische Großgefechte und setzt stattdessen auf Massen von Raketen und Drohnen, dichte Luftabwehr, Cyberangriffe, Störungen im Seehandel und den Einsatz verbündeter Gruppen im Ausland. Das sorgt für Abschreckung, ersetzt aber keine modernen Luft- und Seestreitkräfte und bleibt anfällig für Engpässe bei High-Tech-Komponenten sowie gezielte Schläge gegen Produktionsstätten.
Rotes Meer und Weltwirtschaft: der maritime Hebel
Über die Huthis im Jemen – klassische Proxies Teherans – kann Iran Handel und Energieflüsse Richtung Suezkanal unter Druck setzen. Angriffe auf Frachter, Drohnen- und Raketenbeschuss sowie Störaktionen haben seit Ende 2023 die Routen verändert und Militäreinsätze der USA und Partner ausgelöst. Das Ziel: globale Aufmerksamkeit und ein Hebel gegenüber Washington, Jerusalem und Europa.
Irak und die „Landbrücke“
Im Irak stützen Iran-nahe Milizen – zentrale Proxies im Netzwerk – Teherans Einfluss politisch, wirtschaftlich und logistisch. Sie sind teils in staatliche Strukturen eingebunden, teils eigenständig aktiv. Der Irak bleibt damit Puffer und Transitroute: Waffen- und Personenströme Richtung Syrien und Libanon sowie Rückhalt gegen US-Druck.
Brücke nach Europa: Irans Rolle im Ukraine-Krieg
Der Krieg in Europa und der Krisenbogen Nahost hängen zusammen – durch Technik, Lieferketten und Politik. Seit 2022 nutzt Russland in großem Umfang iranisch entwickelte Shahed-Drohnen – teils importiert, teils in Russland nach iranischer Technologie gefertigt. Westliche Regierungen berichten zudem über Lieferungen von Raketen und Startgeräten. Für Teheran bringt das Gegengeschäfte mit Russland (Technologie, Atom- und Industriekooperation) und politischen Schutz im UN-Kontext.
Die strategische Verknüpfung der Konflikte
Ölverkäufe an China sichern Iran Devisen; die BRICS-Einbindung gibt Rückhalt. Mit diesen Mitteln hält Teheran sein Proxy-Netz funktionsfähig, setzt asymmetrische Mittel – Raketen, Drohnen, Cyber, Seeraum – gezielt ein und verknüpft Krisenräume: Ein israelischer Schlag in Syrien kann Antwortdruck im Libanon auslösen; eine Eskalation in Gaza spiegelt sich auf See; Drohnen über Kyjiw verstärken westlichen Ressourcenstress. Das Bild ist damit – gerade für Einsteiger – weniger ein Flickenteppich von Einzelkriegen als ein System aus Hebeln, das Iran flexibel bedient, um zu überleben, zu wirken und abzuschrecken.
EINORDNUNG: Was sind Proxies
Wenn hier von „Proxies“ die Rede ist, meint das nicht ferngesteuerte Marionetten. Es sind eigene Akteure mit eigener Agenda, die mit Iran kooperieren, weil sich Interessen überschneiden. Genau diese Mischung aus Nähe und Eigenständigkeit macht das System robust, aber schwer berechenbar – und erklärt, warum Irans Einfluss ohne klassische Bündnisse wirkt.
| Land | Gruppe | Kurzprofil (Rolle/Bindung) |
|---|---|---|
| Libanon | Hisbollah (Lebanese Hezbollah) | Kernpartner des Iran seit den 1980ern; vom IRGC/Quds-Force aufgebaut, dauerhaft bewaffnet/finanziert; projiziert Macht gegen Israel, unterstützt Iran-Operationen in Syrien. |
| Irak | Kataib Hisbollah (KH) | Engste IRGC/QF-Anbindung; mehrfach von OFAC und State Dept. gelistet; führt/koordiniert Angriffe auf US-Ziele; zentrale PMF-Komponente. |
| Asaib Ahl al-Haq (AAH) | Stark von der Quds-Force finanziert/ausgebildet; politisch und militärisch aktiv; US-Designation. | |
| Badr-Organisation | Älteste pro-iranische Formation (ehem. Badr-Brigaden); in Ministerien/Sicherheitsapparat verankert; historisch vom IRGC aufgebaut. | |
| Harakat al-Nujaba (HAN) | Iran-gestützte Schiitenmiliz; aktiv in Irak/Syrien; jüngste US-Designation bestätigt Iran-Bindung. | |
| Kataib Sayyid al-Shuhada (KSS) | PMF-Brigade, eng mit Iran/Hisbollah; 2023 als „global terrorist“ gelistet. | |
| Saraya al-Khorasani | Ideologisch auf „Wilayat-e-Faqih“ ausgerichtet; Quds-Force-Unterstützung dokumentiert. | |
| Kataib al-Imam Ali (KIA) | Iran-nah, teils eng an Hisbollah; 2025 auf US-Terrorlisten erweitert. | |
| Syrien | Liwa Fatemiyoun (Afghanische Schia-Brigade) | Von IRGC/QF aufgebaut/rekrutiert; Einsatz für Assad; Logistik für iranische Waffenrouten. |
| Liwa Zeynabiyoun (Pakistanische Schia-Brigade) | IRGC-gegründet/geführt; kämpfte an mehreren Fronten in Syrien. | |
| Liwa Abu al-Fadl al-Abbas (LAFA) | Frühe, stark Iran-gestützte Formation zur Assad-Stützung; verband irakische und syrische Schia-Kader. | |
| Jemen | Ansar Allah (Huthis) | Iran-unterstützt (Waffen, Drohnen/Raketen, Beratung); teils direkte IRGC/Hisbollah-Hilfe gemeldet. |
| Palästinensische Gebiete | Palästinensischer Islamischer Jihad (PIJ) | Erhält Geld, Training und Waffenhilfe aus Iran/Hisbollah; engster iranischer Partner in Gaza neben Hamas. |
| Hamas (Iran-unterstützt, kein voll steuerbarer Proxy) | Iran leistet seit Jahren Finanzierung/Training; strategische Nähe, aber eigenständige Agenda. | |
| Bahrain | Al-Ashtar Brigades (AAB) | Iran-gestützte Untergrundgruppe; OFAC/NCTC führen direkte Iran-Bezüge. |
| Saudi-Arabien | Hisbollah al-Hejaz (Saudi Hezbollah) | 1980er/90er Iran-verbundenes Netzwerk; historisch IRGC-nah; heute stark geschwächt. |
Der Iran im Inneren
Der Iran präsentiert sich heute mehr denn je als fest verankertes klerikal-autoritäres Regime (umgangssprachlich: „Mullah-Regime“), in dem religiöse Führung und staatliche Institutionen eng verflochten sind. An der Spitze steht Ayatollah Ali Khamenei, der Oberste Führer, der Leitlinien in Sicherheit, Außenpolitik, Justiz und Personal setzt. Ihm sind zentrale, nicht gewählte Machtzentren zugeordnet: die Revolutionsgarden, der Oberste Nationale Sicherheitsrat als Schaltstelle der Sicherheitsstrategie sowie eine Justiz, die politische Vorgaben konsequent durchsetzt. Wahlen finden statt, sind jedoch durch Vorauswahl der Kandidaten stark eingeschränkt; das Präsidialamt organisiert den Verwaltungsalltag, bestimmt aber nicht die roten Linien des Systems.

In den letzten zwölf Monaten wechselte die Regierung nicht. Präsident Masoud Pezeshkian versucht seit 2024, Verwaltung und Versorgung verlässlicher zu machen. Er kann aber keine roten Linien antasten, die der Oberste Führer und die Sicherheitsorgane setzen. Ein sichtbares Signal war im August 2025 die Rückkehr von Ali Larijani an die Spitze des Sicherheitsrats. Das steht für engeres Krisenmanagement nach außen und innen.
Der Alltag wurde 2025 von drei Dingen geprägt. Erstens vom kurzen Krieg im Juni. Israelische Angriffe trafen Ziele in Iran. Das Land reagierte mit Raketen und Drohnen. Danach zog der Staat die Sicherheitszügel im Inneren fester an. Zweitens von bestehenden Sanktionen und drohenden neuen UN-Sanktionen, weil die Gespräche zum Atomprogramm stocken. Drittens von Hitze, Strommangel und Wasserknappheit. Behörden und Banken blieben an heißen Tagen geschlossen. Strom wurde stundenweise abgeschaltet. In mehreren Städten fuhren Tankwagen Trinkwasser aus. Das trieb Preise und Frust.
Proteste gab es weiter, aber anders als 2022. Sie sind kleiner, lokaler und meist wirtschaftlich. Lehrkräfte fordern ausstehende Gelder. Rentner wollen höhere Bezüge. Arbeiter protestieren gegen Löhne, die wegen Inflation an Wert verlieren. Die Antwort der Behörden folgt einem Muster. Es gibt schnelle Festnahmen, Vorladungen und Kautionen. Dazu kommen digitale Kontrollen. Das Netz wird in heiklen Momenten gedrosselt. VPN-Dienste werden erschwert. Satelliteninternet für Privatleute ist verboten. An einigen Orten kontrolliert die Polizei Smartphones stichprobenartig. So wird Organisation erschwert, bevor Menschen überhaupt auf die Straße gehen.
Die Menschenrechtslage ist angespannt. Die Zahl der Hinrichtungen ist sehr hoch. Viele Urteile betreffen Drogendelikte, andere werden mit „Sicherheitsvergehen“ begründet. Journalistinnen und Journalisten arbeiten unter Druck. Es gibt Festnahmen, Vorladungen und Verbote. Redaktionen berichten von Kontosperren und Eingriffen in die Arbeit. Minderheiten wie Balutschen, Kurden oder Baha’i melden anhaltende Benachteiligung. In Grenzregionen ist die Sicherheitspräsenz besonders hoch.
Für Frauen ist das Bild widersprüchlich. Formell sind Bildung und Beruf offen. An Universitäten stellen Studentinnen vielerorts einen großen Anteil. In Krankenhäusern, Schulen, in Diensten und in Teilen der IT-Branche ist weibliche Arbeit sichtbar. Gleichzeitig wurden die Kopftuchregeln 2024 verschärft und 2025 breiter durchgesetzt. Das geschieht mit Geldbußen, Fahrzeugstilllegungen, Kameras in Bussen und Bahnen sowie Auflagen für Arbeitgeber. Universitäten arbeiten mit Disziplinarkommissionen. In Einzelfällen kam es zu Exmatrikulationen wegen Kleiderordnung. In Kliniken und Schulen setzen Vorgesetzte Vorgaben enger durch. Auf der Straße hängt vieles vom Viertel und der Tageszeit ab. Es gibt sichtbare Kontrollen und Schwerpunktaktionen. Wer sich nicht an die Regeln hält, riskiert Verfahren, die berufliche Wege blockieren können.
Die Wirtschaft belastet den Innenraum zusätzlich. Die Inflation lag im Sommer deutlich über vierzig Prozent. Der Rial verlor stark an Wert. Für Familien bedeutet das, dass Löhne oft nicht bis Monatsende reichen. Preise ändern sich schnell. Medikamente und technische Teile sind teurer. Der Staat hält sich mit Ölexporten über Wasser, vor allem nach China, häufig mit Rabatt. Sollten neue Sanktionen greifen, wird Handel schwieriger und teurer. Die Regierung versucht gegenzusteuern: strengere Preisaufsicht, Subventionen, Projektankündigungen wie kleine Atomkraftwerke mit Russland. Kurzfristig ändert das wenig. Strom und Wasser bleiben knapp, solange Netze und Speicher nicht stabilisiert werden.

Innenpolitisch zieht das System zwei Lehren. Krisen werden zentral geführt. Der Sicherheitsrat bündelt, die Garden setzen durch, die Justiz entscheidet schnell. Jede Öffnung ist reversibel. Die Regierung spricht mit Berufsgruppen und stimmt Hilfen zu. Wenn der Preis für das System steigt, setzt sich die harte Linie durch. So wirkt Iran nach innen 2025: verwaltet, kontrolliert, mit punktuellen Entlastungen. Protest ist nicht verschwunden, er ist vorsichtiger geworden. Frauenrechte sind im Gesetz verankert und im Alltag durch Kontrollen beschränkt. Zivilgesellschaft arbeitet, aber mit angezogener Handbremse. Wie es weitergeht, hängt von drei Dingen ab. Ob es bei IAEA-Zugängen Fortschritte gibt. Ob der Snapback vollständig greift. Und ob Strom und Wasser durch den nächsten Sommer kommen.
Die Machtbalance im iranischen System
Während sich innenpolitisch eine verschärfte Kontrolle und ein engerer Zugriff auf Gesellschaft und Wirtschaft abzeichnen, zeigt die aktuelle Situation zugleich, wie die Machtspitzen im Iran ihre Rollen untereinander neu justieren. Die letzte Entscheidung liegt beim Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei, doch die Umsetzung verteilt sich auf mehrere Schaltstellen. Der Oberste Nationale Sicherheitsrat koordiniert außen- und sicherheitspolitische Fragen, die Revolutionsgarden agieren als militärische, geheimdienstliche und wirtschaftliche Kraft, und die Justiz sorgt dafür, dass politische Vorgaben mit harter Hand durchgesetzt werden. Das Präsidialamt führt den Alltag der Regierung, bleibt aber in allen wesentlichen Fragen den Vorgaben der Sicherheitsorgane untergeordnet.
Gerade im vergangenen Jahr ist deutlich geworden, wie dieses Machtgefüge auf Druck von außen reagiert. Nach den letzten israelischen Luftangriffen im Juni, wurde die Sicherheitsarchitektur enger zusammengeführt. Am 5. August 2025 kehrte mit Ali Larijani ein alter Vertrauter an die Spitze des Sicherheitsrats zurück – ein Signal, dass in Krisenzeiten erprobte Netzwerke den Ton angeben. Diese Rückkehr zeigt, wie das Regime Stabilität sucht, indem es auf bekannte Gesichter setzt, wenn Bedrohungen von außen die Systemkohäsion infrage stellen.
In der aktuellen Auseinandersetzung mit den USA und Europa tritt die Doppelstrategie besonders klar hervor. Nach außen betont die Führung Härte: Der Oberste Führer schloss direkte Gespräche mit Washington „unter Drohung“ kategorisch aus. Gleichzeitig versucht die neue Regierung, pragmatische Spielräume zu nutzen – etwa bei IAEA-Inspektionen und im Umgang mit drohenden UN-Sanktionen –, um wirtschaftlichen Kollaps zu verhindern. So wirkt die Machtbalance heute wie ein Drahtseilakt: kompromisslos in der Sprache, vorsichtig abwägend in der Praxis, immer mit dem Ziel, Ölexporte und Stromversorgung abzusichern und zugleich Stärke nach außen zu signalisieren.
Wirtschaft in der Zange
Die wirtschaftliche Lage im Iran ist heute von Sanktionen, wiederkehrenden Preisschocks und knappen Devisen geprägt. Das spürt jeder Haushalt: Der Rial hat am Freimarkt ein Rekordtief erreicht, der Wechselkurs springt von Woche zu Woche, und die Inflation frisst Einkommen auf. Am inoffiziellen Markt kostete 1 US-Dollar zuletzt rund 1.07 Mio. Rial, 1 Euro etwa 1.26 Mio. Rial – rechnerisch sind 1 Mio. Rial ≈ 0,79 €.
Für den Alltag heißt das: Wer heute Löhne oder Ersparnisse in Rial hält, sieht ihre Kaufkraft deutlich schrumpfen. Während staatliche Subventionen kurzfristig dämpfen, wachsen die Verzerrungen im Preisgefüge und das Haushaltsdefizit im Hintergrund.
Auf der Einnahmenseite halten Ölexporte – vor allem nach China – das System am Laufen, allerdings mit hohen Rabatten und Umwegen in der Zahlungsabwicklung.
Die dauerhaft hohe Inflation macht für viele Iraner den Alltag unberechenbar. Preise verändern sich so schnell, dass Löhne und Ersparnisse innerhalb weniger Wochen an Wert verlieren. Familien müssen ständig neu kalkulieren, ob das Geld für Lebensmittel, Medikamente oder Mieten reicht. Unternehmen geraten unter Druck, weil Produktionskosten steigen und Planungen unsicher bleiben. Selbst der Staat kommt ins Straucheln, da Subventionen immer teurer werden und doch kaum ausreichen, um die Bevölkerung spürbar zu entlasten.

Noch deutlicher wird das Ausmaß dieser Belastung, wenn man auf das Bruttoinlandsprodukt blickt. Dort zeigen sich die Folgen der Teuerung und der schwachen Währung in Form einer schrumpfenden Wirtschaftskraft. Jeder Einbruch bedeutet weniger Investitionen, weniger Arbeitsplätze und geringere Mittel für Infrastruktur oder öffentliche Dienste. Weil Iran stark von seinen Ölexporten abhängt, schwankt die Wirtschaftsleistung zusätzlich mit Preisen und Absatzmengen auf dem Weltmarkt. Für die Bevölkerung heißt das, dass auch in Jahren, in denen mehr Geld ins Land fließt, die Kaufkraft nicht steigt, sondern stagniert oder sogar sinkt. Die Zahlen verdeutlichen, warum Millionen Menschen heute in einem Land leben, das offiziell über Einnahmen verfügt, ihnen aber trotzdem kaum stabile Chancen und sichere Lebensgrundlagen bieten kann.

Was den Staatshaushalt aktuell treibt, sind drei große Blöcke, die kaum Spielraum lassen. Erstens die laufenden Ausgaben: Löhne im öffentlichen Dienst und Pensionen dominieren die Mittelverwendung; Investitionen wachsen nur moderat und bleiben gemessen an der Wirtschaftsleistung niedrig. Zweitens die Transfers und Subventionen: Das gezielte Subventionsprogramm ist im geltenden Budget auf mehrere Prozentpunkte der Wirtschaftsleistung veranschlagt und wird ausgeweitet, um Kaufkraftverluste abzufedern. Daneben belasten die sehr hohen Energiesubventionen – explizit und implizit – die Finanzlage und halten Preise künstlich niedrig, was Verbrauch anheizt und Reformen verteuert. Drittens die Sicherheitsausgaben: Für 2025 ist der Verteidigungsetat deutlich angehoben worden; die Revolutionsgarden erhalten weiterhin mehr Ressourcen als die reguläre Armee. In Summe bindet diese Struktur Mittel, die für Netze, Wasser, Schulen und Krankenhäuser fehlen – genau dort, wo Bürgerinnen und Bürger den Staat täglich spüren.
In der Sicherheitsarchitektur priorisiert die Führung finanziell die Bereiche, die den Machtapparat tragen: neben den klassischen Streitkräften auch innere Sicherheit, Nachrichtendienste und Grenzschutz. Der jüngste Aufwuchs im Verteidigungshaushalt erklärt, warum die Verwaltung gleichzeitig bei Bildung, Gesundheit und kommunaler Infrastruktur mit Engpässen arbeitet. Für Unternehmen bedeutet das: planbare Rahmenbedingungen entstehen langsamer, während Kosten für Energie, Importteile und Finanzierung hoch bleiben.
Zusätzlich lasten die internationalen Sanktionen wie ein permanenter Klotz auf der Wirtschaft. Seit dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen 2018 wurden Finanz- und Handelseinschränkungen stetig verschärft. Westliche Banken meiden Geschäfte mit Teheran, internationale Konzerne haben sich zurückgezogen, und viele Länder verweigern den Export wichtiger Technologie. Selbst einfache Überweisungen oder Versicherungen für Handelsschiffe sind nur über Umwege möglich. Die Folge sind höhere Transaktionskosten, ein Rückzug ausländischer Investoren und eine stärkere Abhängigkeit von Partnern wie China oder Russland. Für die Bevölkerung macht sich das in höheren Preisen, einer eingeschränkten Auswahl an Waren und geringeren Beschäftigungschancen bemerkbar. Für die Regierung bedeutet es, dass sie ihre Einnahmen noch stärker im Graubereich organisieren muss – über Rabattverkäufe, Schattenfinanzierungen oder Tauschgeschäfte.
Die Subventionsseite ist heute der größte fiskalische Spagat. Das offiziell budgetierte, „zielgerichtete“ System (Lebensmittel-/Energiescheine, Bargeldzuschüsse) soll Härten mindern, erreicht aber regelmäßig seine Einnahmegrenzen. Gleichzeitig summieren sich die breiten Energiesubventionen – von Benzin bis Strom – auf zweistellige Prozentsätze der Wirtschaftsleistung, wenn man Markt- und Umweltkosten realistisch bewertet. Politisch ist das ein Minenfeld: Straffungen treiben Preise, dämpfen Nachfrage und sparen Geld, sie bergen aber unmittelbares Protestrisiko. Die Regierung tastet deshalb in kleinen Schritten voran, was den fiskalischen Druck verlängert.
Auf der Schuldenseite wirkt Iran ungewöhnlich: Die ausgewiesene öffentliche Verschuldung ist gemessen am BIP moderat, die Auslandsverschuldung sehr niedrig. Gleichzeitig stehen dem Staat beträchtliche Verbindlichkeiten gegenüber dem National Development Fund und anderen Sondertöpfen gegenüber – Posten, die im engeren Defizitbegriff nicht voll sichtbar sind. Solange Öl fließt, lässt sich die Lücke bedienen; mit fallenden Preisen, Rabatten oder Exportstörungen wird sie schnell zum Risiko.
Bei Forschung und Entwicklung investiert Iran seit Jahren weniger als ein Prozent der Wirtschaftsleistung. Das bremst Produktivität, Technologietransfer und die Fähigkeit, die Wirtschaft über das Öl hinaus zu diversifizieren. Was das Atomprogramm angeht, existieren zwar Behörden- und Projektetats, doch konsolidierte, belastbare Summen sind öffentlich nur punktuell zugänglich. Hier bleibt vieles nicht verifizierbar – ein Transparenzproblem, das auch die Wahrnehmung international belastet.

Unterm Strich ergibt sich heute ein geschlossenes Bild: Hohe laufende Verpflichtungen (Löhne, Pensionen, Transfers), teure Preisstützen bei Energie, priorisierte Sicherheitsausgaben und blockierende Sanktionen halten das System kurzfristig stabil, verengen aber die Zukunftsoptionen. Solange sich daran wenig ändert, bleiben Investitionen in Netze, Wasser, Bildung und Gesundheit das Nadelöhr – und damit genau die Bereiche, die für Wachstum, Beschäftigung und verlässliche Versorgung entscheidend wären.
Zwang und Angst: Wie der Iran mit Rechten und Freiheiten umgeht
Die Repression im Iran ist 2025 nicht abstrakt – sie trifft Einzelne mit voller Wucht. Menschenrechtsorganisationen berichten, dass seit den Kampfhandlungen im Juni über 20.000 Menschen festgenommen wurden, darunter Dissidenten, Journalistinnen, Minderheiten und Familien von Opfern aus früheren Protesten. Spät nach Mitternacht klingeln Beamte an Wohnungen, führen Durchsuchungen durch, beschlagnahmen Mobiltelefone, verhängen Hausarrest und verweigern Familienkontakt.
„Don’t step outside your house. You are going to be arrested again.“ – so gibt eine iranische Journalistin ihre Angst wieder, zitiert von CHRI in einer Analyse über die Medienunterdrückung im Land.³ In dieser Atmosphäre gelten Journalisten als Zielscheiben; nach Angaben von RSF sind mindestens 21 Journalist:innen derzeit in Haft. Ein besonders prägnantes Beispiel: Reza Valizadeh, iranisch-amerikanischer Journalist, sitzt seit über einem Jahr in Gefängnisbedingungen mit isolierter Haft, intensiven Verhören und psychischem Druck.
Auch in den Todesurteilen spiegeln sich Macht und Symbolik. So wurde Mojahed Kourkour, Beteiligter an Protesten von 2022, am 11. Juni 2025 hingerichtet – offiziell für den Vorwurf der „Untergrabung der öffentlichen Ordnung.“ Sein Fall wurde international verurteilt, Angehörige und Anwälte sprachen von erzwungenen Geständnissen. Parallel dazu stehen Fälle wie Verisheh Moradi, eine kurdische Frauenrechtsaktivistin, die im November 2024 zum Tode verurteilt wurde, offiziell wegen „bewaffnetem Widerstand gegen den Staat“. Auch die kurdisch-iranische Aktivistin Pakhshan Azizi wurde 2024 zum Tode verurteilt; ihr Prozess wirft Fragen zur Unabhängigkeit von Gerichten und Zugang zu Rechtsbeistand auf.
Für Frauenrechtsaktivistinnen hat der Druck Gestalt angenommen: Seit dem Internationalen Frauentag 2025 wurden mindestens fünf Aktivistinnen willkürlich festgenommen – manche wegen des Tragens eines Kopftuchs, das als Verstoß gegen Pflichtvorschriften interpretiert wurde; in einem Fall wurde ein Sänger für 74 Peitschenhiebe verurteilt, weil er ein Lied gegen das Zwangsverschleierungsgebot vortrug.

Die Baha’i-Gemeinschaft leidet unter systematischer Verfolgung. Amnesty und HRW bezeichnen das Vorgehen als anhaltende Verfolgung mit Charakter von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In Rafsanjan zwangen Behörden Angehörige, hohe Summen zu zahlen, um Bestattungen für Verstorbene zu erhalten, und gruben Gräben um das einzige Baha’i-Friedhofsgelände, um Zugang zu erschweren.¹¹ Besonders betroffen sind Frauen dieser Gemeinschaft.
Der kollektive Druck – juristisch, physisch, psychisch – erzeugt ein Klima, in dem der Rechtsschutz kaum greift. Prozesse vor Revolutionstribunalen laufen oft entgegen internationaler Standards: lange Untersuchungshaft, kein vertrauenswürdiger Anwalt, kaum Beweismittelfreiheit. Diese Muster demonstrieren, dass Rechte im Iran auf dem Papier bestehen – in der Praxis aber selektiv entzogen werden.
Die soziale Not: Inflation bestimmt den Alltag
Die soziale Lage im Iran ist im Jahr 2025 von einer Mischung aus wirtschaftlicher Not, strukturellen Engpässen und klimatischen Belastungen geprägt. Offiziell weist die Regierung Armut meist klein aus, doch internationale Organisationen gehen davon aus, dass inzwischen über ein Drittel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt. Besonders betroffen sind Familien in ländlichen Regionen, wo Dürreperioden Ernten zerstören und Einkommen ausbleiben. Viele Haushalte sind auf staatliche Lebensmittelgutscheine oder Hilfszahlungen angewiesen, die aber angesichts der hohen Inflation oft nicht ausreichen.

Im Gesundheitswesen verschärfen sich die Probleme. Öffentliche Krankenhäuser leiden unter Medikamentenmangel, weil Importware durch Sanktionen teuer und schwer beschaffbar ist. Apotheken rationieren bestimmte Mittel, und für chronisch Kranke wird die Behandlung so zu einer täglichen Sorge. Ärzte berichten von einem wachsenden Trend, dass Patienten ihre Behandlungen abbrechen, weil sie die Kosten nicht mehr tragen können. Zugleich bleibt die Infrastruktur marode: Strom- und Wasserausfälle treffen auch Kliniken, was die Versorgung zusätzlich gefährdet.
Im Bildungssektor zeigt sich ein ähnliches Bild. Zwar besuchen viele Kinder weiterhin Schulen, doch die Qualität der Ausstattung nimmt ab. In ärmeren Regionen fehlen Bücher, Heizungen oder Internetzugang. Lehrer streiken regelmäßig, weil ihre Löhne nicht mehr mit den Lebenshaltungskosten Schritt halten. Besonders für Mädchen aus ärmeren Familien steigt das Risiko, dass sie die Schule früh abbrechen, weil Arbeit im Haushalt oder ein Nebenverdienst wichtiger werden.
Ein zusätzlicher Faktor ist die Klimakrise, die die soziale Not verschärft. Dürren lassen Flüsse und Seen austrocknen, allen voran den Urmia-See im Nordwesten, dessen Rückgang ganze Landstriche unbewohnbar macht. Bauern müssen aufgeben, Wanderungsbewegungen innerhalb des Landes nehmen zu. In manchen Städten leben inzwischen ganze Viertel von Binnenmigranten, die ihre Heimatdörfer verlassen mussten. Diese Binnenflucht verstärkt die Last auf die städtische Infrastruktur: Wohnungen sind knapp, die Mieten hoch, und die Arbeitslosigkeit steigt.
Internationale Hilfsorganisationen sind nur eingeschränkt im Land präsent, da das Regime ausländische NGOs misstrauisch beobachtet. So bleibt die Unterstützung oft auf lokale Initiativen, kirchliche oder gemeindebasierte Netzwerke beschränkt. Viele Iraner helfen sich gegenseitig mit Nachbarschaftshilfe, Lebensmittelspenden oder gemeinsamer Kinderbetreuung. Dieses soziale Netz lindert die Not, kann sie aber nicht grundlegend lösen.
Eine unsichere Zukunft: Wohin das Land steuert
Vom heutigen Stand aus steuert Iran in den kommenden zwölf Monaten auf ein enger gezogenes Koordinatensystem zu: Sanktionen verschärfen Finanzengpässe, die Frage der internationalen Kontrolle des Atomprogramms bleibt der wichtigste Hebel der Außenpolitik, und die Inflation hält den Alltag unter Druck. Der Staat kann sich über Ölexporte noch finanzieren, verliert dabei aber Margen und Sichtbarkeit. Innenpolitisch bleibt die Kontrolle hoch, während Wasser-, Strom- und Preisrisiken die Stimmung bestimmen.
Nukleardossier und Außenpolitik
Ein zentrales Thema bleibt das Atomprogramm. 2015 hatte der Iran mit den Weltmächten ein Abkommen geschlossen, das seine Urananreicherung begrenzte und im Gegenzug internationale Sanktionen aufhob. Als die USA 2018 aus diesem Abkommen ausstiegen, begann Teheran, die Regeln Schritt für Schritt zu verletzen. Seitdem ringen die Beteiligten darum, ob und wie die Sanktionen wieder vollständig in Kraft gesetzt werden sollen.
Für die nächsten zwölf Monate zeichnen sich drei Szenarien ab. Erstens: Die Sanktionen werden geschlossen wieder eingeführt. Das würde bedeuten, dass iranische Banken noch stärker vom internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen werden, Versicherungen für Öltransporte wegfallen und die Wirtschaft zusätzlichen Druck spürt. Zweitens: Es kommt zu einer begrenzten Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) – etwa indem der Iran Inspektoren wieder mehr Zugang erlaubt oder Daten zu seinem Atomprogramm nachliefert. Das könnte Märkte kurzfristig beruhigen, ohne dass die politischen Spannungen gelöst sind. Drittens: Es bleibt beim Stillstand mit gelegentlichen Gesten aus Teheran. Das verschafft Zeit, bringt aber keine verlässliche Perspektive.
Parallel dazu verfolgt Iran seine Rolle in der Region. Das Land unterstützt weiterhin verbündete Gruppen im Irak, in Syrien, im Libanon und im Jemen. Damit übt Teheran Druck auf die USA, Israel oder Saudi-Arabien aus, ohne selbst direkt in einen Krieg einzutreten. Mit Saudi-Arabien ist keine breite Annäherung zu erwarten, doch ein pragmatisches Nebeneinander ist möglich – solange beide Seiten von stabilen Ölpreisen und dem Pilgerverkehr nach Mekka profitieren.
Sicherheit und Region
Eine größere Eskalation entlang der Nordgrenze Israels oder im Roten Meer würde die nächsten zwölf Monate stark prägen: höhere Versicherungskosten, Umwege in der Schifffahrt, schnellerer Abfluss von Devisen. Für Teheran bleibt das Muster asymmetrisch: Druck durch verbündete Gruppen, während man eigene Risiken auf iranischem Boden möglichst klein hält. Sollte der Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon weiter eskalieren, wächst die Gefahr, dass iranische Waffenlager oder Rüstungsstandorte ins Visier geraten. Teheran würde darauf mit Härte reagieren, um Abschreckung und innenpolitische Geschlossenheit zu demonstrieren.

Wirtschaft, Preise, Währung
Ohne Kurswechsel bleibt die Inflation hoch, der Rial schwach und das Haushaltsdefizit bestehen. Ölverkäufe sind nach wie vor die wichtigste Einnahmequelle, doch hohe Rabatte und komplizierte Abwicklungen mindern die Nettoerlöse. Subventionen – etwa für Energie und Grundnahrungsmittel – stabilisieren kurzfristig, erhöhen aber die Belastungen für den Staatshaushalt.
Für die Bevölkerung bedeutet das, dass Preise für Lebensmittel, Medikamente und Mieten weiter steigen, während Einkommen kaum nachziehen. Familien müssen ständig neu kalkulieren, und viele greifen auf zusätzliche Jobs oder Unterstützung aus ihrem Umfeld zurück. Unternehmen kämpfen mit steigenden Produktionskosten, Verzögerungen bei Importen und unzuverlässiger Energieversorgung. Für kleine und mittlere Betriebe wird es damit besonders schwer, die kommenden Monate zu überstehen.
Gesellschaft, Rechte, Öffentlichkeit
Die Regierung wird die digitale Kontrolle weiter ausbauen: mehr Filter, härtere Regeln gegen VPN-Nutzung, gezielte Internetdrosselungen bei Protesten. Pressefreiheit bleibt eingeschränkt; Journalisten müssen mit Festnahmen, Vorladungen und Schließungen von Redaktionen rechnen. Frauen sind zwar weiter sichtbar in Universitäten und im Berufsleben, doch das Risiko von Strafen wegen Verstößen gegen Kleidervorschriften wächst. Kleinere, lokale Proteste wird es weiterhin geben – meist wegen Löhnen, Renten oder Wasserknappheit. Landesweite Mobilisierung ist nur bei größeren Schocks denkbar, etwa bei längeren Stromausfällen oder drastischen Preiserhöhungen.
Energie, Wasser, Klima
Ob der Sommer 2026 von Stromausfällen geprägt sein wird, hängt stark vom kommenden Winterregen ab. Bleibt er aus, drohen massive Wasserknappheit und zusätzliche Lastabwürfe im Stromnetz. Teheran versucht gegenzusteuern, indem es Staudämme strenger managt und Dieselgeneratoren einsetzt. Die angekündigte Kooperation im Bereich Kernenergie wird kurzfristig nichts ändern – sie ist eher ein politisches Signal als eine schnelle Lösung für die Energieversorgung.
Industrie, Rüstung, Technologie
Die beschädigten Produktionslinien für Raketen und Drohnen werden zwar repariert, bleiben aber von Importen abhängig: Spezialteile, Chemikalien und Maschinen sind schwer zu beschaffen. Das verteuert die Programme und verlangsamt die Entwicklung. Auch die Industrie insgesamt leidet unter fehlenden Ersatzteilen, Kreditklemme und Stromspitzen. Investitionen sind fast ausschließlich bei staatsnahen oder ausländisch gestützten Firmen zu erwarten.

In Teheran steht die Sonne jetzt steil über dem Himmel, der Asphalt flimmert, Klimaanlagen kämpfen gegen die Hitze, und auf den Märkten schreiben Händler neue Preise auf ihre Tafeln. Zwischen Stromdrosselungen, knappen Wasserlieferungen und der Unsicherheit, wie lange das Geld noch reicht, verdichtet sich hier am Mittag das Bild eines ganzen Landes. Ob es in den kommenden Monaten spürbar Luft gewinnt – durch Entlastung von außen und Stabilität im Innern – oder ob Inflation, schwacher Rial und regionale Spannungen es weiter an den Rand drängen, entscheidet sich in diesem Alltag, der schon jetzt zeigt, wie unsicher die Zukunft ist.
Quellenliste mit Links
- Amepres Lokaljournalisten-Netzwerk Teheran / Van (Türkei)
Nuklearprogramm / IAEA / UN-Prozess
- IAEA Board of Governors – Beschluss/Report zu Iran (Juni 2025). iaea.org+1
- IAEA – Eröffnungsstatements des Generaldirektors zu Iran (16. & 23. Juni 2025). iaea.org+1
- UN Security Council – Protokoll/Presseseite zur Entscheidung über Sanktionsentlastung/Sanktionen (Sept 2025). press.un.org
- EEAS/EU – Erklärungen der EU/E3 zur IAEA-Kooperation und zu Sanktionsschritten (Sept 2025). EEAS+2EEAS+2
Wirtschaft / Preise / Ölhandel
- IWF DataMapper – Inflation (Jahresdurchschnitt, 2025 Prognose) & BIP nominal für Iran. IMF+1
- Weltbank – Iran Economic Monitor / Länderseite (Hintergrundkennzahlen). Weltbank+1
- Reuters – Ölrabatte/Routen & China-Importe (Kpler/Vortexa), Sommer–Herbst 2025. Reuters+2Reuters+2
- Reuters – Ölminister: Verkäufe nach China auch bei UN-Sanktionen. Reuters
Wasser, Energie, Klima (Hitze, Dürre, Urmia-See, Engpässe)
- The Guardian – Hitzewellen bis 50 °C, sinkende Dammstände, Druckdrosselungen (Juli/Sept 2025). Der Guardian+1
- Stimson Center – Analyse zu Wasserknappheit & Stromabschaltungen (2025). Der Guardian
Menschenrechte / Medienfreiheit
- OHCHR – Exekutionen: 2024 mind. 901; anhaltender Anstieg 2025. UN Menschenrechtsrat+2UN Menschenrechtsrat+2
- Iran Human Rights (IHRNGO) & ECPM – Jahresbericht Todesstrafe in Iran 2024 (Feb 2025). Iranische Menschenrechte+1
- Amnesty International – Überblick Menschenrechte 2024/25 & Hinweise auf Massenrisiken bei Todesurteilen (Sept 2025). Amnesty International+1
- RSF – World Press Freedom Index 2025: Iran Rang 176/180 + Länderseite. Reporter ohne Grenzen+2Reporter ohne Grenzen+2
- CHRI – „They see us as targets“ (Pressefreiheit, O-Töne; Sept 2025). Center for Human Rights in Iran
Digitale Kontrolle / Netzabschaltungen
- NetBlocks / RSF – Nahezu vollständiger Internet-Blackout ab 18. Juni 2025; Lageupdates. Reporter ohne Grenzen+2X (formerly Twitter)+2
- TechCrunch – Bericht zur Netzwerkkollaps-Messung (18. Juni 2025). TechCrunch
- Access Now – Jahresreport Internet Shutdowns 2024 (Kontext, Iran aufgeführt). Access Now+1
Proxies / Regionale Machtprojektion
- OFAC/US-Treasury – Kata’ib Hizballah Designationen & Iran-Verbindung (KH). U.S. Department of the Treasury+1
- U.S. State Dept. – Liste der Foreign Terrorist Organizations (Referenz für Designations). Staatsministerium
- The Washington Institute – Profile & Analysen: Saraya al-Khorasani, Fatemiyoun, Zeynabiyoun. Washington Institute+1
- Reuters – Öl, Sanktionen und Unterstützungsnetz (Huthis/Region) in der laufenden Berichterstattung 2025. Reuters
Raketen/Drohnen-Industrie (Schäden, Engpässe)
- Associated Press – Wiederaufbau iranischer Raketenstandorte, Engpass planetary mixers nach Juni-Schlägen. AP News

