Jordanien im September 2025: Königreich der Geflohenen
Lizenzartikel von Jürgen Dirrigl – Titelbild und alle nicht gekennzeichneten Bilder im Artikel : AMEPRES
Sami war zweiundsechzig, als er zum letzten Mal in Gaza gewesen war, eingeladen zu einer Konferenz über Wasserpolitik. Er erinnerte sich an die engen Straßen, an den Geruch von gegrilltem Mais, an Buchhandlungen in schmalen Hinterhöfen und an das Lachen der Studenten, die mit ihm über Ökonomie und Zukunft diskutieren wollten. Heute, sechs Jahre später, im September 2025, ist er achtundsechzig und im Ruhestand. Er sitzt auf dem Balkon seiner Wohnung in Amman, mit einer Tasse Kardamomkaffee und der Zeitung auf den Knien. Seit Jahren schon sind die Schlagzeilen voll von Bombardierungen, Airdrops und blockierten Hilfskonvois. Normalität im Ausnahmezustand, wie er es zynisch für sich nannte. Doch an diesem Morgen war nichts normal.
Zwischen den Bildern aus Rafah und Khan Younis entdeckte er ein Gesicht, das ihm vertraut war. Die Zeitung zeigte eine Fotostrecke einer internationalen Agentur: Menschen auf der Flucht, erschöpft, vom Staub gezeichnet. Und dort, mitten in der Menge, sah er einen seiner ehemaligen Studenten. Er erkannte ihn sofort – die schmalen Schultern, die Brille, der feste Blick. Dieser junge Mann hatte ihm einst eine Arbeit über die Schattenwirtschaft in belagerten Städten geschrieben. „Professor, wir leben das, was andere nur in Büchern lesen“, hatte er damals gesagt. Sami hörte diesen Satz jetzt wie ein Echo, während er das Bild betrachtete. Nur war es kein Seminarraum mehr, sondern eine Straße im Krieg.
Er legte die Zeitung zusammen, faltete sie wieder auseinander, als könnte er mehr Details aus den schwarzen Linien pressen und fragte sich, ob der junge Mann noch am Leben sei, ob er es bis zur Grenze schaffen würde, ob er vielleicht schon in Jordanien war, in einem dieser überfüllten Camps, kaum eine Stunde entfernt. Das Bild ließ ihn nicht los. Es war, als hätte sich all das Leid, das er über Jahre nur in Zahlen und Berichten gesehen hatte, in einem Augenblick verdichtet – in einem Gesicht, das er kannte.
Er spürte eine Unruhe, die ihn nicht mehr losließ. Zum ersten Mal seit langem fragte er sich, ob er nicht etwas tun musste. Ein Brief an eine Hilfsorganisation? Ein Anruf bei einem alten Kollegen, der noch in den Ministerien arbeitete? Oder wenigstens ein Besuch im Camp, eine Geste, ein Zeichen, dass er nicht nur Zuschauer war. Doch zugleich fühlte er sich ohnmächtig. Er sah auf die Dächer der Stadt, auf die Wasserkanister, auf die Wäsche, die im Morgenlicht flatterte wie eine zaghafte Begrüßung des neuen Tages. Der Krieg war nicht sein Krieg. Und doch klopfte er an seine Tür. Gaza war nie weit weg – und wegen der unzähligen Palästinenser, deren Leben sich seit Jahrzehnten in den Gassen und Vierteln Jordaniens mit dem seinen kreuzte, für ihn auch immer greifbar gewesen. Doch in diesem Augenblick war Gaza so nah wie nie zuvor, weil es das Gesicht eines jungen Mannes trug, dem er noch vor ein Paar Jahren eine leuchtende Zukunft prophezeite…

Zwischen Kriegslärm und Alltagslast – Jordanien im Herbst 2025
Was am Golf geschieht, hat fast immer auch Folgen für Amman. Jordanien liegt im Zentrum eines Krisenbogens: Syrien im Norden, Irak im Osten, Israel und die Palästinensergebiete im Westen, Saudi-Arabien im Süden. Diese Lage macht das Königreich zugleich zu einem Sicherheitsanker und zu einem Land, das ständig Gefahr läuft, in Konflikte hineingezogen zu werden.
Die letzten beiden Jahre haben das deutlich gezeigt. Der Angriff auf den US-Außenposten Tower 22 im Januar 2024, bei dem drei amerikanische Soldaten getötet wurden, führte vor Augen, dass auch Jordaniens entlegene Grenzregionen nicht unberührt bleiben. Damals war der Posten von einer pro-iranischen Miliz attackiert worden, ein Signal, wie verletzlich das Land im Spannungsfeld zwischen Teheran und Washington ist. Auch wenn dieses Ereignis inzwischen über ein Jahr zurückliegt, bleibt es ein Bezugspunkt: Es verdeutlicht bis heute, dass die Gefahr, direkt in regionale Eskalationen hineingezogen zu werden, real bleibt. Als Iran im April desselben Jahres hunderte Drohnen und Raketen gegen Israel richtete, musste Jordaniens Armee Objekte abfangen, die den eigenen Luftraum verletzten. Das Königreich blieb damit zwar stabil, wurde aber zum aktiven Teil eines regionalen Spannungsfelds, in dem die eigene Sicherheit nicht selbstverständlich ist.
Gleichzeitig bleibt der Gaza-Konflikt für Jordanien ein sensibles Thema, auch wenn das Land geografisch nicht direkt an den Gazastreifen grenzt. Die Regierung hat seit Beginn der Eskalation 2023 unmissverständlich erklärt, dass es keine neuen Flüchtlingsströme aus Gaza nach Jordanien geben werde. König Abdullah sprach mehrfach von der Gefahr einer „zweiten Nakba“ – einer erneuten massenhaften Vertreibung der Palästinenser – und stellte klar, dass Jordanien dafür nicht der Ausweichraum sein könne. Dennoch leben heute bereits rund 2,3 Millionen registrierte Palästina-Flüchtlinge im Land, viele von ihnen Nachkommen derer, die 1948 und 1967 ihre Heimat verloren. Unter ihnen befinden sich auch etwa 150.000 Menschen mit Wurzeln im Gazastreifen, die seit Jahrzehnten in Jordanien ansässig sind. Für Amman bedeutet diese Realität ein dauerhaftes Spannungsfeld: Einerseits ist das Königreich tief in das Schicksal der Palästinenser verwoben, andererseits fürchtet es, dass neue Fluchtbewegungen die fragile Stabilität im Inneren endgültig überfordern könnten.
Neben der Sicherheitslage steht die Wirtschaft im Zentrum der Sorgen. Jordaniens Wachstum bleibt schwach, die Staatsverschuldung hoch, die Arbeitslosigkeit insbesondere bei jungen Menschen verfestigt sich. Energieimporte sind teuer, Subventionen schwer zu finanzieren. Der Staat profitiert zwar von IWF-Programmen, Hilfen aus den USA und Investitionen aus den Golfstaaten, doch diese Abhängigkeit macht ihn zugleich verwundbar. Die hohen Stromkosten treffen Haushalte wie Unternehmen. Reformen wie neue Zeittarife für Stromverbrauch sollen die Last verteilen, doch bislang ist die Wirkung begrenzt.
Hinzu kommt die strukturelle Wasserknappheit. Jordanien gehört zu den wasserärmsten Ländern der Welt. Der geplante „National Water Carrier“, eine Pipeline, die entsalztes Wasser aus Aqaba in die Hauptstadt Amman bringen soll, gilt als Rettungsanker. Doch bis er tatsächlich funktioniert, bleibt Wasser Rationierungsware. Das Vertrauen, dass jeden Tag genügend Wasser aus der Leitung kommt, ist brüchig. Mit dem Abbruch des „Wasser-für-Energie-Deals“ mit Israel hat die Regierung zudem ein Signal gesetzt, dass sie stärker auf eigene Lösungen vertraut – mit allen Risiken, die Verzögerungen und Kosten mit sich bringen.
Auch die Gesellschaft steht unter Spannung. Politische Reformen – wie das 2024 eingeführte neue Wahlgesetz, das Parteien stärken soll – wirken in internationalen Berichten wie kleine Fortschritte. Freedom House stufte Jordanien zuletzt als „partly free“ ein. Gleichzeitig verschärfen Gesetze wie das Cybercrime-Gesetz von 2023 die Einschränkungen für freie Rede. Journalisten und Aktivisten riskieren Anklagen, wenn sie den Staat kritisieren. Mit dem Verbot der Muslimbruderschaft im Frühjahr 2025 ging die Regierung noch einen Schritt weiter, was als Zeichen für die gleichzeitige Öffnung und Begrenzung der politischen Räume gelesen werden kann.
Im Alltag sind es jedoch weniger die abstrakten Freiheitsdebatten, die die Menschen beschäftigen, als die Kosten für Lebensmittel, Energie und Mieten. Familien müssen Einkommen strecken, kleine Geschäfte kämpfen ums Überleben. Globale Krisen wirken direkt: Der Tourismus schwankt mit jeder Eskalation im Gazastreifen, Handel und Transport sind anfällig für Grenzschließungen, und die Abhängigkeit von Importen bei Gas und Getreide bleibt hoch.
Eine noch größere Dimension bildet die humanitäre Lage. Jordanien beherbergt seit Jahren Hunderttausende Flüchtlinge – Syrer, Palästinenser, Iraker, Jemeniten und Sudanesen. Mehr als 80 Prozent der syrischen Flüchtlinge leben nicht in Camps, sondern in Städten und Dörfern, und belasten dort Infrastruktur, Schulen und Kliniken. Internationale Hilfsgelder decken längst nicht mehr alle Kosten, die Belastung für Kommunen steigt. Für viele Jordanier ist das Nebeneinander von Einheimischen und Geflüchteten Alltag – aber auch ein Nährboden für Spannungen, wenn es um Jobs, Wohnungen oder Wasser geht.
Außenpolitisch laviert Jordanien zwischen enger Bindung an die USA, einer funktionalen, aber politisch angespannten Beziehung zu Israel, und wichtigen Investitionspartnerschaften mit den Golfstaaten. Gleichzeitig gibt sich das Königreich auf internationalen Bühnen als Stimme der Vernunft und Stabilität. Doch hinter diesem Bild steht ein Staat, der an vielen Fronten gleichzeitig gefordert ist: durch Kriege an den Grenzen, durch wirtschaftliche Abhängigkeit, durch gesellschaftliche Lasten und durch ökologische Grenzen.
Jordanien ist damit heute ein Land, das gleichzeitig Stabilität symbolisiert und doch Tag für Tag am Rand der Überlastung balanciert. Es ist politisch kontrolliert, wirtschaftlich fragil, gesellschaftlich angespannt – und dennoch steht es inmitten der Konflikte des Nahen Ostens fester, als viele seiner Nachbarn es vermögen.
Königreich mit kontrollierter Öffnung – Jordaniens politische Ordnung
Jordanien ist seit seiner Gründung ein Königreich (Hashemitisches Königreich Jordanien). An der Spitze des Staates steht König Abdullah II., der seit 1999 regiert. Er ist das Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und bestimmt die zentralen politischen Richtungen. Anders als in parlamentarischen Demokratien Europas hat das Volk in Jordanien keine Möglichkeit, den Regierungschef direkt zu wählen. Der König ernennt den Premierminister sowie das gesamte Kabinett. Er kann sie auch jederzeit wieder entlassen. Damit ist die Regierung in erster Linie dem Monarchen verpflichtet und nicht dem Parlament.

Das Parlament besteht aus zwei Kammern: dem Repräsentantenhaus und dem Senat. Das Repräsentantenhaus wird gewählt, allerdings nach einem Wahlrecht, das immer wieder verändert wurde und vielen Beobachtern zufolge Parteien nur eingeschränkt stärkt. Bei der letzten Wahlreform 2024 wurde der Versuch unternommen, landesweite Listen und Parteien zu fördern, um von den bisherigen lokalen und stammesbasierten Strukturen etwas Abstand zu gewinnen. Der Senat hingegen wird vollständig vom König ernannt. So bleibt die zweite Kammer eng mit dem Königshaus verbunden.
Die Entscheidungswege sind dadurch klar strukturiert, aber stark zentralisiert. Gesetze werden zwar im Parlament diskutiert, doch ohne Zustimmung des Königs tritt kein Gesetz in Kraft. Auch das Verfassungsgericht, der Nationale Sicherheitsrat und wichtige Kontrollorgane sind direkt durch königliche Ernennungen besetzt. Oppositionelle Kräfte haben es schwer, weil sie in den Wahlkreisen durch das System der Stimmengewichtung oft benachteiligt sind.
Formal gibt es in Jordanien Parteien. Manche von ihnen treten bei Wahlen an und können Sitze im Repräsentantenhaus erringen. Die Regierung hat in den letzten Jahren durch Reformen versucht, diese Parteienlandschaft zu beleben. Allerdings ist die politische Kultur weiterhin geprägt von Stämmen, lokalen Netzwerken und Persönlichkeiten, weniger von ideologisch klaren Parteien. Die stärkste organisierte Bewegung, die Muslimbruderschaft, wurde im Frühjahr 2025 verboten. Damit fehlt eine klassische oppositionelle Kraft, die in vielen arabischen Staaten politische Bedeutung hat.
Ein direkt gewählter Präsident existiert in Jordanien nicht. Die Exekutive wird über den König und den von ihm eingesetzten Premierminister geführt. Der Premierminister führt die Regierungsgeschäfte, doch seine Spielräume sind eng: Schlüsselministerien wie Inneres, Verteidigung und Auswärtiges sind traditionell besonders nah an der königlichen Autorität.
Das politische System Jordaniens wird daher von internationalen Beobachtern oft als „gelenkte Demokratie“ beschrieben: Es gibt Wahlen, Parteien und ein Parlament, aber die eigentliche Macht liegt beim König und den von ihm abhängigen Institutionen. Das ermöglicht Stabilität und schnelle Entscheidungen, schränkt aber gleichzeitig pluralistische Debatten und die Rolle einer wirklichen Opposition ein.
ChatGPT:
Jordanien von innen – Jugend, Macht und Misstrauen
Die Atmosphäre in Amman ist von einer feinen Spannung durchzogen, kaum wahrnehmbar, doch allgegenwärtig. Jordanien gilt nach außen als Insel der Stabilität, doch im Inneren ist das Land ein komplexes Geflecht aus gesellschaftlichem Wandel, staatlicher Kontrolle, knappen Ressourcen und alltäglichen Sorgen, die Menschen und Behörden gleichermaßen prägen.
Die Gesellschaft ist jung: Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung sind unter 30 Jahre alt. Dieses demographische Gewicht macht Bildung, Arbeitsmarkt und soziale Teilhabe zu Schlüsselfragen der Innenpolitik. Universitäten sind gut gefüllt, und jedes Jahr drängen zehntausende Absolventen auf einen Arbeitsmarkt, der ihre Nachfrage kaum bedienen kann. Der Frust darüber prägt die Stimmung, nicht selten auch die politische Haltung der Jugend. Viele junge Menschen bewegen sich stärker in digitalen Räumen als in klassischen politischen Strukturen, was dem Staat Anlass gibt, Kontrolle und Überwachung auszubauen.
Das Cybercrime-Gesetz von 2023 ist hier ein entscheidender Marker. Es gibt den Behörden weitreichende Möglichkeiten, Online-Aktivitäten zu überwachen und strafrechtlich zu verfolgen. Kritik an Regierung, Königshaus oder Sicherheitsapparat kann strafrechtliche Folgen haben. Menschenrechtsorganisationen werfen dem Gesetz vor, es werde genutzt, um Journalisten, Aktivisten und Oppositionelle einzuschüchtern. Auch der Alltag in sozialen Netzwerken ist davon geprägt: Viele formulieren vorsichtiger, manche schweigen ganz. Dennoch sind die Plattformen wie Facebook, TikTok und Instagram zentrale Foren des öffentlichen Diskurses – und ein Ventil für Unzufriedenheit.
Parallel spielt Stammeszugehörigkeit weiterhin eine gewichtige Rolle im Leben vieler Jordanier. Vor allem in ländlichen Regionen sind familiäre und stammesbasierte Netzwerke die wichtigsten Anker für soziale Absicherung und Einfluss. Sie greifen dort, wo staatliche Strukturen schwach oder überfordert sind. Wer Arbeit, Schutz oder Vermittlung braucht, wendet sich häufig nicht zuerst an Institutionen, sondern an Clan- oder Stammesälteste. Dieses Geflecht trägt zur Stabilität bei, ist aber zugleich eine Bremse für den Aufbau moderner, gleichberechtigter Strukturen.

Die Rechtsordnung ist formell modern, basiert aber auf einer Mischung aus staatlichem Zivilrecht, islamischem Recht (Scharia) und traditionellen Gewohnheitsrechten. Gerade in Familien- und Erbschaftsfragen haben die Scharia-Gerichte großen Einfluss. Frauenrechte bleiben ein umkämpftes Feld. Offiziell hat Jordanien Gesetze gegen Gewalt in der Familie und Kinderheirat verschärft. In der Praxis jedoch werden Fälle oft durch außergerichtliche Einigungen geregelt, besonders in konservativen Landesteilen. Internationale Berichte heben hervor, dass Schutzräume und Hilfsangebote zwar gewachsen sind, aber längst nicht ausreichen.
Ein wichtiges innenpolitisches Thema ist auch die Religionsfreiheit und politische Partizipation. Jordanien sieht sich als moderat islamisches Land, in dem Christen und andere Minderheiten in relativer Sicherheit leben. Doch politische Macht liegt fast ausschließlich in den Händen der muslimischen Mehrheit, und seit dem Verbot der Muslimbruderschaft im Frühjahr 2025 fehlt eine organisierte religiös-politische Opposition. Kleinere Parteien existieren, haben aber kaum Spielräume. Damit ist die politische Landschaft zwar weniger polarisiert, aber auch ärmer an echter Pluralität.
Die öffentliche Verwaltung steht unter ständiger Last. Der Druck durch schnelles Bevölkerungswachstum, den Zuzug von Geflüchteten und die Erwartungen der eigenen Bürger überfordert häufig die Strukturen. Behörden arbeiten oft ineffizient, Korruption im Alltag ist verbreitet – von kleinen Bestechungen bis zu Vetternwirtschaft in der Vergabe öffentlicher Posten. Zugleich bemüht sich der Staat, durch E-Government und digitale Verwaltungsdienste das Vertrauen zu stärken. Viele Bürger nutzen inzwischen Online-Portale für Steuerzahlungen oder Dokumentenerneuerungen, was als Fortschritt gesehen wird.
Im Alltag der Städte zeigt sich ein weiteres Spannungsfeld: Urbanisierung. Amman wächst rasant, andere Städte wie Zarqa oder Irbid ebenfalls. Das bedeutet steigende Mieten, Verkehrsstau und Belastungen für Strom- und Wasserversorgung. Gleichzeitig entstehen neue Wohnviertel und Einkaufszentren, die für Teile der Mittelschicht ein moderneres Leben ermöglichen. Doch die soziale Kluft zwischen wohlhabenden Stadtteilen und armen Randgebieten ist deutlich sichtbar.

Die Sicherheitskräfte – Armee, Polizei, Geheimdienste – sind im Land allgegenwärtig. Jordanien versteht sich als Sicherheitsstaat, der Stabilität über alles stellt. Checkpoints, Überwachung und Präsenz uniformierter Kräfte prägen das Bild. Für viele Jordanier bedeutet dies ein Gefühl der Sicherheit. Für Kritiker ist es ein Symbol der fehlenden politischen Öffnung. Beides gilt zugleich: Ohne das engmaschige Sicherheitsnetz wäre das Land wohl kaum so stabil, aber es schränkt gesellschaftliche Freiheiten erheblich ein.
Besonders im Jahr 2025 zeigt sich in der Innenlage, dass Stabilität und Druck Hand in Hand gehen. Die Gesellschaft ist jung, vernetzt, kritisch – doch die staatlichen Antworten bleiben stark kontrollierend. Das Rechtssystem wirkt modern, stößt aber in der Praxis an soziale und kulturelle Grenzen. Stammesstrukturen stabilisieren das Land, hemmen aber Reformen. Und die Verwaltung kämpft, den Alltag einer wachsenden und vielfältigen Bevölkerung zu organisieren, während Ressourcen und Vertrauen begrenzt sind.
Jordanien im Inneren ist damit ein Land der stillen Spannungen: nicht laut, nicht revolutionär, aber voller Reibungen, die jeden Tag im Kleinen sichtbar werden – in Schulen, auf Ämtern, in den Straßen Ammans. Es ist diese Mischung aus Kontrolle, Pragmatismus und improvisierter Alltagspraxis, die das Königreich am Laufen hält.
Jordaniens Wirtschaft – Wachstum ohne Jobs, Stabilität ohne Spielraum
Wer heute auf die Wirtschaft Jordaniens blickt, erkennt schnell ein Land, das zwischen Stabilität und Belastung balanciert. Für die Menschen bedeutet das: Die allgemeinen Preise bleiben vergleichsweise ruhig, doch Arbeit, Einkommen und Chancen sind knapp – und die hohen Stromkosten drücken zusätzlich auf die Haushaltsbudgets. Genau dieses Spannungsfeld prägt den Alltag.
Jordanien ist eine dienstleistungsgetriebene Volkswirtschaft mit fest an den US-Dollar gekoppeltem Dinar. Das Wachstum ist moderat, die Teuerung niedrig, die Arbeitslosigkeit hoch und die Staatsfinanzen eng. Das ist der Rahmen, in dem Haushalte planen, Unternehmen investieren und die Regierung reformiert. Im vergangenen Jahr lag das reale BIP-Wachstum bei rund 2,5 %, im ersten Quartal dieses Jahres bei 2,7 %. Das ist zu wenig, um genügend Jobs für eine junge Bevölkerung zu schaffen, stabilisiert aber in Verbindung mit hohen Währungsreserven von etwa 22 Mrd. US-$ (ca. 15,6 Mrd. JOD) die makroökonomische Lage und die Wechselkursbindung. Die Inflation blieb bis August zumeist zwischen 1–2 %, was Kaufkraftverluste dämpft. Gleichzeitig bleibt das Leistungsbilanzdefizit mit Werten um 6 % des BIP eine strukturelle Schwachstelle, die Jordanien auf verlässliche Kapitalzuflüsse, Tourismus und Überweisungen aus dem Ausland (Remittances) festlegt.


Dieses Wachstum übersetzt sich jedoch nur bedingt in neue Beschäftigung. Ein Grund ist, dass Branchen wie Tourismus, Phosphatexporte, Pharma oder Finanzdienste zwar Umsätze steigern, aber nicht massenhaft Arbeitskräfte brauchen. Hotels können mehr Gäste aufnehmen oder eine Bank mehr Transaktionen abwickeln, ohne doppelt so viele Mitarbeiter einzustellen. Hinzu kommt der technologische Fortschritt: Digitale Systeme ersetzen Aufgaben, die früher von Menschen erledigt wurden. Ein weiterer Punkt ist der sogenannte informelle Sektor. Damit sind Tätigkeiten gemeint, die zwar Einkommen schaffen – etwa Straßenverkauf, kleine Werkstätten oder Gelegenheitsjobs –, aber nicht offiziell registriert sind. Sie erscheinen in der Statistik als Teil des Wachstums, geben den Menschen aber weder stabile Verträge noch soziale Absicherung. Schließlich wächst die Bevölkerung schneller, als die Wirtschaft neue Stellen schafft. Jedes Jahr drängen zehntausende junge Menschen auf den Arbeitsmarkt, doch das moderate Plus im Bruttoinlandsprodukt reicht nicht aus, um all diese neuen Kräfte aufzunehmen. So entsteht das Paradox eines Landes, das wächst und doch unter hoher Arbeitslosigkeit leidet.

Die Arbeitslosigkeit verharrt deshalb auf einem hohen Plateau: Aktuell liegt sie bei etwa 29,6 Mrd. US-$ (ca. 21 % des BIP) und ist damit eines der drängendsten sozialen Probleme des Landes. Besonders betroffen sind junge Menschen. Viele Absolventinnen und Absolventen finden nur verzögert formelle Beschäftigung. Für das Sicherheitsgefühl der Haushalte ist die niedrige Inflation zwar ein Polster, doch die Einkommensbasis ist schmal. Der gesetzliche Mindestlohn wurde zum 1. Januar auf 409 US-$ pro Monat (290 JOD) angehoben. Ein international etablierter Referenzwert für einen existenzsichernden Lohn in städtischen Gebieten lag zuletzt (2022) bei rund 509 US-$ pro Monat (361 JOD); er ist nicht amtlich, zeigt aber die Lücke zwischen Mindest- und „Lebenshaltungs“-Lohn. Durchschnittslöhne schwanken stark nach Branche; als Orientierung lag der formelle Monatslohn von Fachkräften 2022 bei rund 956 US-$ (678 JOD). Diese Marken helfen, Alltagsrealitäten einzuordnen: Viele Familien stemmen steigende Mieten und Nebenkosten mit Einkommen, die nur knapp oberhalb des Mindestlohns liegen.
Auf der Finanzierungsseite des Staates steht die Konsolidierung im Mittelpunkt. Die Regierung steuert auf eine Verringerung der Schuldenquote hin; international wird für Ende des Jahres eine Größenordnung knapp unter 125 Mrd. US-$ (ca. 90 % des BIP) genannt, wobei offizielle Bulletins im Jahresverlauf – je nach Definition und Einbezug der Sozialversicherungsbestände – Quoten zwischen 127–131 Mrd. US-$ berichten. Entscheidend ist der Pfad: geringere Primärdefizite, Kostendämpfung bei Versorgern und ein enger IWF-Kurs sollen die Quote schrittweise drücken. Gleichzeitig sichern hohe Devisenreserven und eine widerstandsfähige Bankenlandschaft das Vertrauen in den Peg und das Finanzsystem.
Wichtige Wachstumstreiber bleiben der Tourismus, Bau und ausgewählte Industrien wie Düngemittel/Phosphate und Arzneimittel. Gerade der Tourismus hat in diesem Jahr trotz regionaler Risiken kräftig zugelegt: Tourismuseinnahmen stiegen in den ersten acht Monaten auf etwa 5,33 Mrd. US-$. Das federt Teile des Leistungsbilanzdefizits ab, verteilt Einkommen in Städte und Peripherie und stützt Kleingewerbe. Parallel stabilisieren Auslandsüberweisungen der Diaspora den Konsum; im ersten Quartal summierten sie sich auf rund 889 Mio. US-$. Direktinvestitionen blieben im frühen Jahresverlauf positiv; im ersten Quartal flossen netto gut 338 Mio. US-$ (240 Mio. JOD).
Der Finanzplatz Amman hat sichtbar an Profil gewonnen. Der Leitindex der Amman Stock Exchange (ASE) erreichte im September den höchsten Stand seit 17 Jahren, die Marktkapitalisierung stieg im Jahresverlauf in Richtung 32–33 Mrd. US-$ (23–24 Mrd. JOD). Die Börse bleibt klein im regionalen Vergleich, dient aber als Gradmesser für inländisches Vertrauen und als Nische für ausländische Anleger, die auf Jordanien als „Stabilitätswert“ setzen. Parallel wächst der digitale Zahlungsverkehr: Sofortzahlungs- und Wallet-Systeme wie CliQ und JoMoPay verzeichnen zweistellige Zuwächse bei Transaktionen. Das erhöht Effizienz, bringt Kleinunternehmen formell ins System und verbreitert die Basis für Steuereinnahmen.

Preise und Lebenshaltung entwickeln sich vergleichsweise ruhig. Die Jahresteuerung pendelte bis zum Spätsommer um 1–2 %; Nahrungsmittel- und Mietkosten bleiben jedoch für Haushalte mit Mindestlohn im Verhältnis hoch. Die Dinar-Bindung an den Dollar importiert zwar Stabilität, verteuert aber in Phasen starker US-Währung Teile der Importrechnung. Die Regierung versucht, mit gezielten Stützungen und Tarifreformen bei Versorgern – etwa zeitvariablen Stromtarifen – Lasten zu glätten. Die eigentlichen Engpässe liegen jedoch weniger in den Preisen als in Einkommenshöhe, Beschäftigungschancen und Wohnkosten.
Im Außenkonto bleibt Jordanien auf mehrere Quellen angewiesen: Tourismus, Remittances, offizielle Finanzierung (u. a. IWF-Programmtranche und bilaterale Unterstützung) sowie punktuell FDI. Das erklärt, warum geopolitische Schocks, Grenzstörungen oder Reisesicherheitswarnungen sofort in den Daten sichtbar werden. Umgekehrt zeigen die Zahlen, dass Jordanien selbst in einem schwierigen Umfeld Einnahmen aus Tourismus und Überweisungen steigern kann.
Die Banken gelten als solide kapitalisiert, die Währungsreserven decken mehrmonatige Importe, die Geldpolitik folgt der US-Zinslandschaft und hält den Peg glaubwürdig. Diese Anker senken das Krisenrisiko, ersetzen aber keine Strukturreformen: Nötig bleiben Investitionen in produktive Sektoren, die breiter Beschäftigung schaffen, sowie die Entlastung staatlicher Versorger. Das erklärt, warum die Wachstumszahlen stabil, aber nicht dynamisch sind – und warum die soziale Lage trotz geringer Inflation angespannt bleibt.
2025 ist damit wirtschaftlich ein Jahr der gedämpften Entwarnung. Niedrige Inflation und hohe Reserven nehmen Druck vom Kessel, der Tourismus liefert Rückenwind, und die Kapitalmärkte senden Zuversichtssignale. Doch die Arbeitslosigkeit, das hohe Schuldenniveau und das Außenhandelsdefizit bleiben harte Grenzen. Jordanien hält Kurs – aber der Spielraum ist schmal, und jede regionale Erschütterung kann die Bilanz schnell drehen.
Klimawandel im Hintergrund – Versorgung bleibt oberste Aufgabe
Die Klimakrise lässt sich in Jordanien nicht in ferner Form erleben, sondern in schwindender Regenmenge, explodierenden Hitzerekorden und geschwächten Böden. Seit 1970 zeigen Messstationen in zwei Dritteln des Landes einen Rückgang der jährlichen Niederschläge, in manchen Regionen um über 15 % im Vergleich zu früheren Jahrzehnten. Gleichzeitig steigt die Durchschnittstemperatur um rund 0,3 °C pro Dekade, und die Zahl der Hitzetage über 35 °C hat sich in Amman verfünffacht. Bei Hitzewellen erlebt Jordanien Spitzenwerte, etwa wurden in Aqaba im Juni 2025 49,6 °C gemessen. In Dürrezeiten brechen Flussläufe ein, und Fachleute schätzen, dass eine Abnahme der Niederschläge um 20 % die Abflussmenge um über 50 % verringert. Fast 90 % Jordaniens sind extrem niederschlagsarm mit weniger als 200 Millimetern Regen jährlich, und der Druck auf Wasserressourcen wächst. Inmitten dieser Realitäten muss Jordanien seine Energie- und Klimapolitik aufstellen – zwischen Anpassung und Minderung, zwischen knappen Ressourcen und großen Ambitionen.

Jordanien ist dem Pariser Abkommen beigetreten und hat seine nationalen Klimaziele (Nationally Determined Contributions, NDC) zuletzt verschärft. Das Land verpflichtet sich, seine Emissionen bis 2030 gegenüber einem „Weiter-so“-Szenario spürbar zu senken, einen Teil unbedingt aus eigener Kraft und einen größeren Teil unter der Bedingung internationaler Unterstützung. Politisch gesteuert wird das Thema im Zusammenspiel von Umweltministerium, Energieministerium, der Regulierungsbehörde EMRC und dem Netzbetreiber NEPCO. Ergänzt wird das durch einen nationalen Anpassungsplan, der Schwerpunkte wie Wasser, Landwirtschaft, Städte, Gesundheit und Katastrophenvorsorge definiert.
Im Strommix dominieren heute Erdgas-Kraftwerke. Sie sichern die Grundlast, sind aber abhängig von Importen und internationalen Preisen. Seit einigen Jahren wächst der Anteil von Photovoltaik und Wind deutlich. An klaren Tagen decken sie zeitweise einen großen Teil der Mittagslast, was den Gaseinsatz reduziert. Ein besonderes Kapitel ist das Ölschieferkraftwerk bei Attarat: Es liefert verlässliche Leistung, ist aber kostenintensiv und vertraglich langfristig gebunden, mit Folgen für Tarife und für die Fähigkeit, noch mehr günstigen Solarstrom aufzunehmen. Jordanien hat in der Region früh auf erneuerbare Energien gesetzt und zählt hier zu den Vorreitern, kämpft aber mit den Nebenwirkungen des Erfolgs wie Netzengpässen, zeitweiligen Abregelungen von Anlagen und Finanzlasten aus Altverträgen.
Die Strompreise empfinden viele Haushalte als hoch. Das liegt weniger am einzelnen Solarkraftwerk, sondern an den Systemkosten: Importgas, Kapazitätszahlungen an konventionelle Anlagen, noch unzureichende Netze, die Spitzenlast sicher abdecken müssen, und die Refinanzierung früherer Verluste. Jordanien hat Reformen eingeführt, darunter zeitabhängige Tarife und eine vereinfachte Stufenlogik für Haushalte. Ziel ist, Verbrauch in kostengünstige Zeiten zu lenken und Quersubventionen zu begrenzen. Parallel startet der Ausbau von Smart Metern, um flexible Tarife überhaupt anwenden zu können. Solange Netze nicht verstärkt und Altverträge nicht abgearbeitet sind, bleibt die Entlastung für Verbraucher jedoch begrenzt.
Die Solarparks in Mafraq und Quweira, Windfarmen in Tafila und Jerash sowie tausende Dach-PV-Anlagen sind sichtbare Erfolge der Energiewende. Solarthermie auf Dächern spart Warmwasser-Strom in vielen Haushalten. Für die nächste Ausbaustufe braucht das System vor allem den Ausbau von Netzen und Speichern, damit mittäglicher Solarstrom besser verteilt und in den Abend verschoben werden kann. Dazu kommen Marktregeln für Flexibilität, die Lastmanagement und Anreize für Speicher bei Gewerbe und Industrie schaffen sollen. Wichtig ist eine realistische Pipeline neuer Projekte, die Kosten, Netzanschluss und Systemdienstleistungen von Anfang an mitdenkt.

Der Verkehr ist eine große Emissionsquelle. Erste Hebel sind gesetzt: Der Bus Rapid Transit in Amman fährt elektrisch-hybrid, Kommunen testen E-Busse, und Elektroautos gewinnen langsam Marktanteile, getrieben von sinkenden Betriebskosten und fallenden Batteriekosten. Entscheidend ist das Ladenetz, das derzeit ausgebaut wird, etwa mit Schnellladern zwischen Aqaba und Amman und Ladepunkten in Städten. Für Schwerlastverkehr und Logistik prüft Jordanien Pilotprojekte mit E-Lkw und Wasserstoff, legt aber den Schwerpunkt auf effizientere Fahrzeugflotten, den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und eine klügere Stadtplanung. Jede Kilowattstunde, die hier fossilen Sprit ersetzt, spart Devisen und Emissionen – vorausgesetzt, der zusätzliche Strom wird sauber erzeugt und netzverträglich geladen.
Im Bereich der Gebäude und Industrie setzt Jordanien auf Effizienz als sofort verfügbare Energiequelle. Neue Standards für Dämmung, Fenster, Klimaanlagen und Warmwasser sollen Lastspitzen senken. Öffentliche Gebäude rüsten auf LED, Photovoltaik und Energiemanagement um. Das Net-Metering für Dächer wurde angepasst, um Netzstabilität zu sichern und Mitnahmeeffekte zu vermeiden, stattdessen setzt man auf größere, netzdienliche PV-Cluster. In der Industrie, besonders in Phosphat, Düngemitteln, Zement und Pharma, sind Abwärmenutzung, elektrische Antriebe und PV auf Fabrikhallen wichtige Ansätze. Diese Maßnahmen senken Kosten und verringern die Abhängigkeit von Energieimporten, die die Außenbilanz belasten.
Der Wasser-Energie-Nexus zeigt, wie sehr Klimawandel und Energieversorgung zusammenhängen. Der National Water Carrier soll in Aqaba Meerwasser entsalzen und das Trinkwasser bergauf nach Amman pumpen. Das Projekt ist energieintensiv, soll aber Schritt für Schritt mit erneuerbarem Strom verknüpft und über internationale Finanzierungen abgesichert werden. Parallel laufen Programme zur Verringerung von Leitungsverlusten, zur Wiederverwendung von behandeltem Abwasser in Landwirtschaft und Industrie sowie Maßnahmen zum Dürremanagement in besonders betroffenen Regionen. Dass der politisch heikle „Wasser-für-Energie“-Deal mit Israel gestoppt wurde, erhöht den Druck, eigene Kapazitäten aufzubauen – technisch machbar, aber finanziell anspruchsvoll.
Die Klimarisiken sind in Jordanien schon heute greifbar. Wasserknappheit verschärft sich, Quellen versiegen saisonal, und Konflikte um die Zuteilung nehmen zu. Hitzeextreme treiben Stromspitzen und belasten Gesundheit und Produktivität. Sturzfluten zerstören Straßen und Infrastruktur, besonders in Schluchten und Senken. Landdegradation bedroht Erträge und erhöht die Importabhängigkeit bei Nahrungsmitteln. Jordanien reagiert darauf mit Anpassung, etwa durch Frühwarnsysteme für Unwetter, städtische Entwässerungsprojekte, Hitzeschutzpläne, klimaresiliente Landwirtschaft und Aufforstungsprogramme. Gleichzeitig setzt es auf Minderung durch den Zubau von Solar- und Windkraft, Reform der Tarife für netzdienlichen Verbrauch, Effizienzprogramme in Gebäuden und Industrie, die schrittweise Elektrifizierung des Verkehrs, den Ausbau von Speichern und langfristig auch auf grünen Wasserstoff für industrielle Anwendungen.
Infobox: Jordaniens große Klima- und Energieprojekte
Wasser – National Water Carrier Project (Aqaba–Amman)
Das wichtigste Zukunftsprojekt Jordaniens. Es soll jährlich rund 300 Millionen Kubikmeter Meerwasser bei Aqaba entsalzen und über eine 450 Kilometer lange Leitung nach Amman pumpen. Kostenpunkt: über 10 Milliarden US-Dollar, finanziert durch internationale Partner wie EIB, EBRD und DFC. Ohne dieses Projekt droht der Hauptstadt in den kommenden Jahren akute Wasserknappheit.
Energie – Attarat Ölschieferkraftwerk
Mit 470 Megawatt Leistung und einem Investitionsvolumen von etwa 2,1 Milliarden US-Dollar das größte Einzelkraftwerk des Landes. Es basiert auf Ölschiefer, den Jordanien im eigenen Boden abbaut. Das Projekt garantiert verlässliche Stromversorgung, gilt aber wegen hoher Kosten und langfristiger Verträge als umstritten.
Erneuerbare Energien – Solar- und Windparks in Mafraq, Quweira und Tafila
Jordanien hat mehrere große Solar- und Windparks errichtet, die zusammen mehrere Hundert Megawatt ins Netz einspeisen. Sie sind ein Symbol für den Ausbau erneuerbarer Energien und machen das Land zu einem regionalen Vorreiter. Ihre volle Wirkung entfalten sie erst, wenn Netze und Speicher ausgebaut sind.
Klimawandel/Regional – Red-Dead-Project (Rotes Meer–Totes Meer)
Ein gigantisches Wasser- und Energieprojekt, das den Wasserspiegel des Toten Meeres stabilisieren und gleichzeitig Entsalzungs- und Stromkapazitäten schaffen sollte. Politisch umstritten und mehrfach verschoben, heute de facto gestoppt. Bleibt jedoch als Vision einer regionalen Lösung im Gespräch.
Die Strategie ist klar, doch die Umsetzung ringt mit drei Altlasten: Die Finanzierung großer Projekte ist schwierig, die Netzinfrastruktur weist Engpässe auf, und Altverträge belasten die Tarife. Hinzu kommt der Balanceakt, soziale Abfederung zu erhalten und gleichzeitig Investitionssignale zu setzen. Je besser Netze, Speicher und Flexibilitätsmärkte funktionieren, desto günstiger wird jede zusätzliche Megawattstunde aus erneuerbaren Quellen und desto schneller sinken Emissionen und Importrechnungen.
Für ein Land mit begrenzten Ressourcen ist der Pfad zur Klimaneutralität kein Sprint. Jordanien gewinnt dann, wenn es konsequent das tut, was sich bereits bewährt: erneuerbare Energien ausbauen, Netze verstärken, Speicher an Lastknoten errichten, Effizienz zur ersten Energiequelle machen, Tarife so setzen, dass Investitionen und Verbrauchslenkung zusammenpassen, und jeden neuen Wasser- oder Verkehrsbaustein stromsystemtauglich planen. So werden Anpassung und Minderung zu zwei Seiten derselben Strategie – nicht nur fürs Klima, sondern auch für Versorgungssicherheit, Preisstabilität und Souveränität im Energie- und Wassersektor.
Menschenrechte im Spannungsfeld von Sicherheit und Kontrolle
Die humanitäre Lage in Jordanien wirkt heute auf den ersten Blick stabiler als in vielen Nachbarstaaten, doch unter der Oberfläche zeigt sich ein Bild, das von Einschränkungen, Druck und fehlender Offenheit geprägt ist. Die Verfassung garantiert Rechte, die in der Praxis oft durch Sicherheitsgesetze und Notstandslogik eingeschränkt werden. Besonders deutlich wird dies im Umgang mit Meinungsfreiheit, Presse, Opposition und Zivilgesellschaft.

Die Pressefreiheit bleibt eingeschränkt. Jordanien liegt seit Jahren im unteren Drittel internationaler Ranglisten, und Journalisten klagen über Selbstzensur. Grund dafür sind Gesetze, die auf vage Begriffe wie „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ oder „Beleidigung staatlicher Institutionen“ verweisen und so fast jede kritische Berichterstattung kriminalisieren können. Das Cybercrime-Gesetz, in verschärfter Form seit 2023 in Kraft, erlaubt der Regierung, Beiträge in sozialen Medien zu löschen und Autoren strafrechtlich zu verfolgen, wenn diese als „Fake News“ oder „Anstachelung“ bewertet werden. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch sprechen in diesem Zusammenhang von einem „Instrument der Angst“.
Menschenrechtsverletzungen betreffen nicht nur Medien, sondern auch Opposition und Aktivisten. Mitglieder der Muslimbruderschaft, die als Organisation verboten wurde, berichten von Schikanen, Überwachung und teils willkürlichen Verhaftungen. Auch einzelne Aktivisten, die Korruption oder Missstände anprangern, sehen sich strafrechtlichen Verfahren ausgesetzt. Ein Beispiel ist der Fall des bekannten Rechtsanwalts und Aktivisten Moayad al-Sanduka, der wegen kritischer Äußerungen in sozialen Netzwerken mehrfach festgenommen wurde. Solche Fälle zeigen, dass die rote Linie der Regierung eng gezogen ist – wer sie überschreitet, muss mit Konsequenzen rechnen.
Die Frauenrechte sind rechtlich und gesellschaftlich weiterentwickelt als in vielen Nachbarstaaten, dennoch bestehen gravierende Defizite. Zwar haben Frauen in Bildung und im Staatsdienst eine wachsende Rolle, doch im Familienrecht gelten weiterhin diskriminierende Regelungen, etwa beim Erbrecht und bei der Vormundschaft. Gewalt gegen Frauen, darunter Ehrenmorde, wird noch immer nicht konsequent verfolgt, auch wenn die Regierung einzelne Reformen verabschiedet hat. Aktivistinnen weisen darauf hin, dass Fortschritte häufig auf dem Papier stehen, im Alltag aber kaum greifen.
In Fragen der Religionsfreiheit gilt Jordanien offiziell als moderat, doch auch hier gibt es Grenzen. Religiöse Minderheiten wie Christen können ihre Religion weitgehend ausüben, während Atheisten oder Konvertiten aus dem Islam gesellschaftlich und juristisch massiven Druck erfahren. Öffentliche Diskussionen über Glaubensfragen sind selten möglich, ohne Anstoß zu erregen. Gleichzeitig stilisiert sich der Staat als Hüter heiliger Stätten, etwa in Jerusalem, was die religiöse Rolle in der Außenpolitik überhöht, innenpolitisch aber konservative Strukturen stärkt.
Die Todesstrafe ist in Jordanien weiterhin gesetzlich vorgesehen und wird auch vollstreckt. Nach einer Phase des Moratoriums Anfang der 2000er Jahre kehrte das Land zur Praxis der Hinrichtungen zurück. Meist handelt es sich um Fälle von Mord oder Terrorismus, doch internationale Beobachter kritisieren mangelnde Transparenz und faire Verfahren. Die Regierung rechtfertigt die Todesstrafe mit dem Hinweis auf Sicherheitsinteressen und gesellschaftliche Akzeptanz.
Die humanitäre Lage im Alltag spiegelt diese Gemengelage wider. Für viele Menschen ist die Grundversorgung gewährleistet, aber der Spielraum, politisch oder gesellschaftlich frei zu handeln, bleibt klein. Hilfsorganisationen dürfen arbeiten, werden jedoch streng reguliert und kontrolliert. Wer im Gesundheits- oder Bildungssektor Unterstützung braucht, profitiert von der hohen Präsenz internationaler Partner, ohne die viele Programme nicht existieren würden. Das Land erscheint damit nach außen als stabil und geordnet, doch die Stabilität beruht auf einem System, das individuelle Rechte häufig unterordnet – unter Sicherheit, Versorgung und die Macht des Staates.
Flüchtlinge im Königreich – Wie Jordanien zur Zuflucht wurde
Die Flüchtlingssituation in Jordanien ist heute ein prägendes Thema, das fast jeden Bereich des Landes berührt: Gesellschaft, Wirtschaft, Infrastruktur und Politik. Wer verstehen will, warum im Jahr 2025 so viele Menschen in Jordanien Schutz suchen, muss den Blick zurückwerfen. Denn Jordanien ist seit Jahrzehnten ein Hauptziel von Flüchtlingsbewegungen im Nahen Osten – und das hat das Land dauerhaft geprägt.
Der erste große Einschnitt liegt viele Jahrzehnte zurück: Nach den Kriegen von 1948 und 1967 flohen Hunderttausende Palästinenser nach Jordanien. Bis heute leben hier rund 2,3 Millionen Palästinenser, die meisten mit offiziellem Flüchtlingsstatus unter Aufsicht des UN-Hilfswerks UNRWA. Viele von ihnen sind längst Teil der Gesellschaft, manche mit voller Staatsbürgerschaft, andere mit eingeschränkten Rechten, doch ihre Anwesenheit ist tief in die politische und soziale Struktur des Landes eingebettet. In Amman, Zarqa oder Irbid prägen palästinensische Familien ganze Stadtviertel, und die Geschichte ihrer Flucht ist eng mit der Geschichte des Königreichs verwoben.
Ein zweiter, massiver Schub kam nach 2011: der Bürgerkrieg in Syrien. Als die Kämpfe im Nachbarland eskalierten, öffnete Jordanien zunächst seine Grenzen. Innerhalb weniger Jahre kamen über 1,3 Millionen Syrer, von denen heute noch rund 660.000 registriert sind. Viele leben in Camps wie Zaatari oder Azraq, andere in Städten und Dörfern, wo sie oft um Jobs, Wohnraum und Versorgung mit den Einheimischen konkurrieren. Das Camp Zaatari im Norden des Landes entwickelte sich zeitweise zur viertgrößten „Stadt“ Jordaniens – ein Symbol dafür, wie sehr das Land durch Fluchtbewegungen verändert wurde.
Hinzu kommen kleinere Gruppen: Iraker, die nach den Kriegen 2003 und nach dem Vormarsch des sogenannten „Islamischen Staates“ 2014 Schutz suchten; Jemeniten, die vor Bürgerkrieg flohen; und in den letzten Jahren auch Sudanesen und Somalier. In der Summe ergibt das eine gewaltige Zahl: Etwa 3,4 Millionen Flüchtlinge und Asylsuchende leben heute in Jordanien – in einem Land mit nur rund 11 Millionen Einwohnern. Das bedeutet, dass fast jeder dritte Mensch im Land eine Fluchtgeschichte hat.

Und auch der Gaza-Krieg spielt eine Rolle. Jordanien hat offiziell erklärt, keine neuen Flüchtlingsströme aus Gaza aufzunehmen, weil die Belastungsgrenze des Landes längst überschritten ist. Trotzdem sind indirekt Zehntausende betroffen: Familien, die Verwandte aus Gaza unterstützen, oder Menschen, die auf eine Einreiseerlaubnis hoffen und vorübergehend im Grenzgebiet festsitzen. Die 2,3 Millionen Palästinenser, die schon seit Jahrzehnten hier leben, erinnern das Land täglich daran, wie dauerhaft solche Fluchtbewegungen die Gesellschaft verändern können.
Die Belastungen für das Land sind gewaltig. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen gibt Jordanien jedes Jahr mehrere Milliarden US-Dollar für Flüchtlingsversorgung aus. Internationale Hilfsprogramme wie das „Jordan Response Plan“ (JRP) sollen diese Kosten abfedern, doch die Finanzierungslücke bleibt groß. Im Jahr 2025 sind weniger als 50 % der benötigten Mittel tatsächlich gedeckt. Das heißt: Schulen sind überfüllt, Kliniken arbeiten am Limit, und die Infrastruktur vieler Städte ist stark überlastet.
Besonders sichtbar wird das bei der Bildung. Hunderttausende syrische Kinder besuchen jordanische Schulen, die mittlerweile im Zwei-Schicht-System arbeiten – morgens die jordanischen Kinder, nachmittags die syrischen. Im Gesundheitswesen sieht es ähnlich aus: Syrische und irakische Flüchtlinge haben Zugang, aber oft nur eingeschränkt oder gegen Zuzahlung. Das führt zu Spannungen, weil viele Jordanier das Gefühl haben, selbst zu kurz zu kommen.
Gleichzeitig ist Jordanien stolz darauf, trotz eigener Armut so viele Menschen aufgenommen zu haben. König Abdullah II. betont regelmäßig, dass sein Land „seine moralische Pflicht“ erfülle, auch wenn die Last kaum zu tragen sei. Viele Jordanier teilen diese Haltung – sie fühlen sich verpflichtet, Nachbarn in Not aufzunehmen. Doch die Realität im Alltag ist eine andere: Arbeitslosigkeit steigt, die Löhne sinken, Wohnungen sind knapp, und Ressentiments nehmen zu.

Heute zeigt sich also ein doppeltes Bild: Jordanien ist eines der größten Aufnahmeländer der Welt, gemessen an seiner Einwohnerzahl. Es trägt seit Jahrzehnten die Hauptlast regionaler Konflikte, ohne selbst über große Ressourcen zu verfügen. Und doch gelingt es bisher, das fragile Gleichgewicht zu halten – durch internationale Hilfe, strenge Grenzkontrollen und das stille Durchhaltevermögen der eigenen Bevölkerung.
Außenpolitik und Außenhandel – Jordaniens Balance zwischen Nähe und Distanz
Jordanien versteht Außenpolitik als tägliche Krisenbewältigung. Das Land ist klein, arm an Ressourcen und liegt in einer Region, die von Konflikten geprägt ist. Diese Lage bestimmt bis heute den Ton nach außen: maximale Stabilität, enge Sicherheitskooperation mit verlässlichen Partnern, deutliche Solidarität mit Palästinensern, aber keine offene Frontstellung, die das Königreich selbst gefährden könnte. Innen ist die Gesellschaft überwiegend sunnitisch geprägt, religiöse Minderheiten sind klein, und das politische System setzt auf Ordnung und Deeskalation. Diese Grundkonstellation erklärt die Haltung in den großen Konflikten der Region und den Kurs gegenüber den wichtigsten Staaten.
Im Verhältnis zu Israel und Palästina hält Jordanien am Friedensvertrag von 1994 fest, zugleich ist das politische und emotionale Band zu den Palästinensern stark. Das Königreich pocht auf seine besondere Rolle als Hüter der islamischen und christlichen Stätten in Jerusalem und fordert unablässig eine Zwei-Staaten-Lösung. Angesichts des anhaltenden Gaza-Krieges hat Amman seinen Botschafter aus Tel Aviv zurückgerufen und die Beziehungen politisch abgekühlt. Praktisch konzentriert sich die Politik heute stärker denn je auf Hilfe für Zivilisten: Luftabwürfe und Hilfskorridore werden mit internationalen Partnern organisiert, während die Regierung innenpolitisch den massiven gesellschaftlichen Druck kanalisiert, ohne den Friedensvertrag zu gefährden. In der Sicherheitsdimension verteidigt Jordanien konsequent sein eigenes Lufthoheitsgebiet. Als Iran im Frühjahr 2024 massenhaft Drohnen und Raketen Richtung Israel schickte, ließ Amman Geschosse abfangen, die das Land überflogen oder zu treffen drohten. Offiziell begründet die Führung solche Schritte mit Schutz der Bevölkerung und territorialer Integrität – eine Linie, die das Land auch heute von Teheran auf Abstand hält, ohne sich in eine offene Konfrontation hineinzuziehen.
Im Israel-Gaza-Krieg agiert Jordanien als humanitärer Knotenpunkt und politischer Mahner. Amman drängt auf Waffenruhe, fordert ungehinderten Zugang für Hilfe und baut parallel seine Rolle als logistisches Drehkreuz aus – per Luftbrücke, Landkorridoren und Koordination mit UN-Organisationen. Diese Doppelrolle – sicherheitspolitisch eng mit dem Westen und den Golfstaaten, politisch nah an den Palästinensern – ist kein Widerspruch, sondern Ausdruck der innenpolitischen Realität. Große Proteste im Land, der hohe Anteil palästinensischer Herkunft in der Bevölkerung und die religiöse Verflechtung mit Jerusalem setzen enge Grenzen für diplomatische Experimente.
An der Grenze zu Syrien bleibt das zentrale Problem nicht klassische Flüchtlingsbewegung, sondern Captagon-Schmuggel und grenzüberschreitende Kriminalität. Jordanien reagiert mit verstärkten Grenztruppen, „shoot-to-kill“-Regeln gegen schwer bewaffnete Schleuser und gezielten Luftschlägen gegen Netzwerke südlich der Grenze, wenn diese als unmittelbare Bedrohung eingestuft werden. Der Handel über den Grenzübergang Nassib–Jaber läuft, ist aber störanfällig. Politisch strebt Amman heute eine schrittweise Reintegration Syriens in die arabische Diplomatie an, sofern sich Sicherheit und Rückkehrperspektiven für Zivilisten verbessern – ein klassischer Versuch, Risiko zu managen, statt es zu ignorieren.

Mit Irak und Ägypten verbindet Jordanien eine „Kern-Dreiecksachse“ aus Energie, Transport und Industrie. Die Stromnetze Jordaniens und Iraks sind inzwischen gekoppelt, die Liefermenge soll ausgebaut werden; langfristig sollen Korridore für Waren, Energie und digitale Dienste entstehen. Parallel bleibt das Projekt einer Pipeline von Basra nach Aqaba eine wiederkehrende Option, auch wenn es politisch und finanziell anspruchsvoll ist. Mit Ägypten koordiniert das Königreich die Gasversorgung und Hafenlogistik, um Preisspitzen zu dämpfen und Lieferwege zu diversifizieren.
Gegenüber den Golfstaaten setzt Jordanien auf strategische Nähe. Mit Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten teilt Amman Sicherheitsinteressen, vor allem gegenüber iranischem Einfluss und gegenüber irregulären Netzwerken in Syrien. Zugleich profitiert Jordanien von Investitionen und Budgethilfen aus dem Golf, die aktuell wichtiger sind denn je. Inhaltlich ist die Linie klar: Jordanien ist kein Verbündeter Irans, es ist ein sunnitisches Königreich mit engen Beziehungen zu den arabischen Monarchien und meidet jeden Schritt, der das eigene Territorium zur Konfliktarena fremder Mächte macht. Im Jemen-Konflikt hält sich Amman militärisch heraus; die Huthi-Angriffe auf Schiffe im Roten Meer und Golf von Aden spürt das Land jedoch über Aqaba unmittelbar – höhere Versicherungskosten, Umwege für Frachter und Verzögerungen bei Importen treffen Handel und Preise auch heute spürbar.
Die Beziehungen zu den USA sind der sicherheitspolitische Anker. Jordanien ist „Major non-NATO Ally“ und erhält auf Basis eines mehrjährigen US-Memorandums jährlich umfangreiche zivile und militärische Unterstützung. US-Truppen sind im Land stationiert, trainieren mit den jordanischen Streitkräften und betreiben gemeinsam Aufklärung und Grenzsicherung. Das erklärt, warum Amman im Ernstfall Luftraum und Zusammenarbeit bietet, gleichzeitig aber öffentlich auf Neutralität pocht, wenn regionale Eskalationen drohen. Mit der EU verfolgt Jordanien einen wirtschaftlichen Kurs: Assoziierung, Handelserleichterungen, Budgethilfe und Investitionen von EIB und EBRD. Brüssel flankiert Reformen und Großprojekte, vom Wassertransport Aqaba–Amman bis zu Energie- und Netzinfrastruktur.
Wirtschaftlich bleibt der Außenhandel diversifiziert, aber verletzlich. Die wichtigsten Exportgüter sind Düngemittel, Phosphate, Phosphorsäure, Textilien und Pharmazeutika. Hauptabnehmer sitzen in USA, Indien, Saudi-Arabien, Irak und der EU. Die Vereinigten Staaten sind durch Freihandelsabkommen und Qualifying Industrial Zones eng verflochten; Textil- und Bekleidungsexporte nutzen diese Schiene. Die EU ist einer der größten Handelspartner insgesamt, bietet Absatzmärkte und Finanzierung. Nach Osten hält Jordanien funktionale Beziehungen zu China – als Lieferant von Konsum- und Investitionsgütern – und pflegt einen pragmatischen Draht zu Russland, vor allem wegen Syrien-Koordination und Getreidemärkten. Politisch steht Amman völkerrechtlich auf westlicher Linie, vermeidet aber demonstrative Frontbildungen, die Spielräume in Energie, Handel und Sicherheit verkleinern könnten.
International sucht Jordanien das Bild eines verlässlichen Moderators, der Ordnungsrahmen und humanitäre Zugänge sichern kann. Das Land möchte heute als Stabilitätslieferant wahrgenommen werden: sicherheitspolitisch berechenbar, wirtschaftlich reformwillig, humanitär handlungsfähig. Deshalb sind die wichtigsten außenpolitischen Hebel Sicherheit, Hilfe, Vermittlung und Logistik – nicht Machtprojektion. Wer Jordanien jetzt einordnet, versteht es am besten als Scharnierstaat: Westlich eingebunden, arabisch verankert, gegenüber Iran auf Distanz, zu Russland nüchtern-pragmatisch, gegenüber Israel rechtsvertraglich gebunden und politisch kritisch – und in all dem getrieben vom Ziel, die eigene Verwundbarkeit zu senken, ohne die Nachbarschaft in Brand zu setzen.

Professor Sami saß noch immer am Fenster, als das Rufen der Händler von der Straße heraufdrang. Die Zeitung lag längst zusammengefaltet neben ihm, aber die Zeilen hatten sich eingebrannt: Jordanien würde keine weiteren Flüchtlinge aus Gaza aufnehmen. Man fürchte, so hieß es, ein Werkzeug der Vertreibungspolitik Israels zu werden, so wie in früheren Kriegen. Sami verstand die Logik, verstand die Angst vor einer Wiederholung der Geschichte – und doch ließ ihn der Gedanke nicht los, dass hinter solchen Grundsätzen immer Menschen standen, einzelne Gesichter, einzelne Schicksale.
Das Gesicht, das er nicht vergessen konnte, war jenes des jungen Mannes, dem er vor Jahren eine leuchtende Zukunft vorausgesagt hatte. Er hatte gehofft, dass Bildung und Ehrgeiz ausreichen würden, um ein anderes Leben aufzubauen. Doch nun war dieser Mann einer von Abertausenden, die in Gaza festsitzen, unerreichbar, unrettbar in einem Kreislauf aus Krieg, Hunger und Angst. Sami spürte die Bitterkeit darüber, dass er selbst nichts tun konnte, kein Visum besorgen, keine Unterkunft schaffen, nicht einmal ein kleines Stück Sicherheit anbieten.
Er dachte an sein Land, das so vieles getragen hat: Millionen von Palästinensern seit Jahrzehnten, Hunderttausende Syrer, Iraker, Jemeniten. Es war ein Land, das immer wieder mehr aufgenommen hatte, als es tragen konnte. Aber zugleich ein Land, das heute an Grenzen stieß – wirtschaftlich, sozial, politisch. Sami wusste, dass man nicht endlos weiter aufnehmen konnte, nicht ohne dass die eigene Gesellschaft zerbricht. Und doch empfand er es als falsch, eine Tür gänzlich zu verschließen. Denn Grundsätze, so dachte er, sind starr, und Starrheit bringt im Angesicht von menschlichem Leid selten Gerechtigkeit hervor.
Er hob den Blick zum Himmel. Dort zogen helle Wolken langsam über die Stadt, vom Morgenlicht durchbrochen, als wollten sie für einen Augenblick die Schwere seiner Gedanken auflösen. Für Sami wirkten sie wie ein stiller Kontrast zu den Sorgen, die auf ihm lasteten. Er fragte sich, ob sein Land den Mut finden würde, neue Wege zu suchen. Nicht immer nur zu reagieren, nicht immer nur auszuhalten, sondern das Leben der Menschen zu verbessern, die schon hier sind, und zugleich den Blick offen zu halten für jene, die kommen. Denn was er sich wünschte, war kein heldenhafter Aufbruch, sondern etwas Einfacheres: dass Jordanien aufhört, bloß Grenzen zu ziehen, und anfängt, Räume zu öffnen – für Arbeit, für Würde, für Hoffnung.
Dieses Nachdenken über Hoffnung führte ihn zurück zu seinem ehemaligen Studenten. Er begriff in diesem Moment, dass das Schicksal dieses jungen Mannes ihn nur daran erinnerte, wie nah der ganze Konflikt an ihn selbst herangerückt war – und dass mit ihm auch die Hoffnungen vieler anderer junger Männer zerbrochen sein müssen, die einst glaubten, mit Bildung und Mut dem engen Gaza-Streifen entkommen zu können.
Quellenliste mit Links
- Amepres Lokaljournalisten-Netzwerk Amman/Jerusalem
Allgemeiner Lageüberblick
- AP News – Bericht zum Angriff auf Tower 22 (Januar 2024)
https://apnews.com/article/us-soldiers-dead-jordan-tower-22-drone-attack - BBC Monitoring – Analyse zum Spannungsfeld Iran/Israel und Drohnenangriffen
https://monitoring.bbc.co.uk - Arab News – Grenzschmuggel und Captagon-Handel über die syrisch-jordanische Grenze
https://www.arabnews.com - FDD (Foundation for Defense of Democracies) – Berichte zur Sicherheit an der syrischen Grenze
https://www.fdd.org
Staatsform und politische Ordnung
- Royal Hashemite Court – Informationen zu Staatsorganen und Ernennungen
https://rhc.jo - Carnegie Endowment for International Peace – Analyse der politischen Machtbalance (Oktober 2024)
https://carnegieendowment.org - Freedom House – Freedom in the World 2025: Jordanien
https://freedomhouse.org
Innenlage Gesellschaft und Verwaltung
- Human Rights Watch – Berichte zu Einschränkungen von Meinungsfreiheit, Cybercrime-Gesetz, Einzelfälle (u. a. Hisham Sanduka)
https://www.hrw.org - Amnesty International – Länderkapitel Jordanien
https://www.amnesty.org
Wirtschaft, Zahlen, Treiber, Finanzplätze
- International Monetary Fund (IMF) – Country Report No. 25/155 (Juni 2025), Makrozahlen zu Wachstum, Inflation, Schulden
https://www.imf.org - Jordan Department of Statistics – Löhne, Einkommen, Lebenshaltungskosten
http://dos.gov.jo - Trading Economics – Inflations- und Wachstumszahlen
https://tradingeconomics.com/jordan
Klima, Energie, Elektrifizierung
- Ministry of Energy and Mineral Resources Jordanien (MEMR) – Energiemix, Ziele für erneuerbare Energien
https://www.memr.gov.jo - NEPCO (National Electric Power Company) – Strompreise, Strommix
http://www.nepco.com.jo - Jordan Times – Berichte zu Energieprojekten, Stromtarifen und Klimapolitik
https://jordantimes.com - EcoMENA – Fachartikel zu erneuerbaren Energien in Jordanien
https://www.ecomena.org - Europäische Investitionsbank – Finanzierung des National Water Carrier Project
https://www.eib.org - EBRD (European Bank for Reconstruction and Development) – Unterstützung für Energie- und Wasserprojekte
https://www.ebrd.com - DFC (U.S. International Development Finance Corporation) – Finanzierung National Water Carrier
https://www.dfc.gov
Flüchtlingssituation und humanitäre Lage
- UNHCR Operational Data Portal – Flüchtlingszahlen für Jordanien (Syrer, Iraker, Jemeniten, Sudanesen, Somalier)
https://data.unhcr.org - UNRWA (United Nations Relief and Works Agency) – Zahlen zu registrierten Palästinensern
https://www.unrwa.org - ECHO (European Civil Protection and Humanitarian Aid Operations) – Länderprofil Jordanien
https://civil-protection-humanitarian-aid.ec.europa.eu - Reliefweb / NRC – Funding-Gaps und Rückkehrbewegungen
https://reliefweb.int
Außenpolitik, Geopolitik, internationale Rolle
- Al Jazeera – Berichte zur jordanischen Rolle im Gaza-Konflikt
https://www.aljazeera.com - CNN – Humanitäre Hilfe, Luftbrücken und Hilfslieferungen Richtung Gaza
https://www.cnn.com - US State Department – Beziehungen Jordanien-USA
https://www.state.gov - European External Action Service (EEAS) – Beziehungen EU-Jordanien
https://www.eeas.europa.eu

